DAS WACHSENDE GESPENST

Zwei Tauferer begaben sich eines Abends um Sonnewend mit Kälbern vom Haus fort und auf den Weg durchs Reintal. Sie wollten mit dem Vieh da auf die Alm fahren, und bei Tag war's ihnen zu warm.

Wie sie zu der "Wüste" (Steingeröll und Schutt) kommen, die bei der Burg auf dem Tobel anhebt, da steht auf einmal unter dem Zaun ein schneeweißer Mensch. Die Kälber wollen mit Gewalt umkehren, aber die Bauern treiben dieselben immer wieder vorwärts, und siehe da, der weiße Mensch geht neben ihnen - aber unterhalb des Zaunes - mit und wird immer größer und größer! Als sie zuhinterst waren, sahen sie ihn schon so groß wie die Fichten, aber auf ja und nein ist er verschwunden. Auch zwei andere sahen einmal den weißen Menschen, aber auf der Burg oben; diesmal schlug er die Arme ins Kreuz, daß es einen rechten "Schnalzer" tat. Der eine der beiden hatte entsetzliche Angst, während der andere sich ein Herz fassen und den Geist anreden wollte. Aber er tat es dann doch wieder nicht.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 585