DER SELIGE HERR JÖRG VON SPINGES
Der selige Herr Jörg war der Gründer der Seelsorge in Spinges; er lebte so heiligmäßig, daß ihn das Volk scharenweise aufsuchte, um bei ihm zu beichten. Daher floh er in die Einöde und baute sich bei Kniepaß unweit Sonnenburg eine Einsiedlerhütte, wo ihn der Teufel mehrmals besuchte, aber von dem heiligen Mann stets in die Flucht gejagt wurde. Deshalb wachte und betete dieser fast ununterbrochen und legte sich des Nachts nur zu ganz kurzem Schlaf auf den Boden, unter dem Kopf seine Milchschüssel.
Durch Gebet heilte er viele Krankheiten, ja er hat sogar einen Irrsinnigen, der erhängt aufgefunden wurde, wieder zum Leben erweckt und von seinem Leiden befreit. Noch hängen die "Bojen", womit dieser Mensch in seiner Tobsucht gefesselt zu werden pflegte, in der Hl.-Grab-Kapelle zu Spinges, die der Herr Jörg selber erbaut hat.
In den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts war der Herr Jörg Feldpater im Türkenkriege und entflammte durch seine begeisterten Reden die Soldaten zum Sieg. Darnach lebte er längere Zeit als Einsiedler im Wienerwald, wo ihn Kaiser Leopold eines Tages auf der Jagd antraf und fragte, ob er keinen Mangel leide. "Ich vermisse nichts als eine Uhr", sagte der Einsiedler, "um meine Geschäfte pünktlicher einzuteilen." Darauf schenkte ihm der Kaiser seine Sackuhr.
Später kehrte er wieder nach Spinges zurück, wo er als Kurat
am 19. März 1700, an einem Freitag, starb, nachdem er seinen Tod
zeitlich genau vorausgesagt hatte. Nach seinem Tod erhielten Gesicht und
Hände eine so blühende Farbe, daß alles Volk, welches
bei seinem Sterbelager kniete, rief, er sei wieder lebendig geworden.
Als man ihn begraben wollte, schrien die Bauern: "Begrabt ihn doch
nicht lebendig!" Darnach hat er viele Wunder gewirkt. Anfang April
1797, als die Tiroler mit den Franzosen im Kampfe lagen, ging drei Tage
niemand in die Spingeser Kirche hinein, und doch blieb das Ewige Licht
erhalten; das hat der "heilige Herr Jörg" getan.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 567