SAGE VOM STÖCKL
St. Georgen bei Bruneck
© Dr.
Dietrich Feil, Herbst 1978
Ober St. Georgen (St. Jörgen) bei Bruneck steht ein kleines Marienkirchlein,
das im Munde des dortigen Volkes das Stöckl heißt. Man erzählt
sich davon, daß an der Stelle des Kirchleins früher der Eingang
einer Höhle gewesen sei. Zogen daran Leute mit Kindern vorüber,
so gingen diese oft verloren. Einmal kam ein Weib mit seinem einzigen
lieben Kinde des Weges, und siehe: bei der Höhle war das Mädchen
verschwunden! Die Frau suchte ringsum, doch vergebens. Sie eilte dann
nach Hause, ging zu ihrem Beichtvater und klagte ihm ihren Verlust. Da
gab er ihr den Rat, sie solle in künftiger Nacht mit einem Lichte
in die Höhle gehen. Die Frau befolgte die Worte des Priesters und
begab sich in der folgenden Nacht mit einem Lichte in die Höhle.
Dort war es gar licht und hell und viele Kinder saßen und standen
umher. In der Mitte saß aber eine wunderschöne Frau, die das
geraubte Kind auf dem Schoße hielt. Als die Mutter ihr Kind sah
eilte sie auf dasselbe zu, entriß es der Frau, die laut aufschrie,
und eilte mit ihrem Kinde von dannen. Die übrigen Kinder waren dadurch
auch vom Banne befreit und kehrten zu den Ihrigen zurück. (Bei Bruneck.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 28, S. 17