DER WURM BEIM SCHATZE

Vor vielen Jahren kam ein Tauferer von Lanebach (einer Bergweide gegen Rein) zwischen zehn und elf in der Nacht heraus auf den Tobel. Er kannte ganz genau die große Steinplatte, unter welcher der Tobelschatz vergraben sein soll, und jene ringförmige Vertiefung in der Platte, die man den Kesselreif nennt. Wie er nun zur Platte kommt, sieht er im Kesselreif einen großmächtigen Beißwurm liegen, schön zu einem Kreis gerundet. Einen Kopf hatte das Kunter, so breit, wie zwei große Hände, und lang war es, wie wenigstens zweimal ein großer Mensch!

Er schaut den Wurm eine Zeitlang an und will dann ganz still auf der Oberseite vorbei und über die "Mauern" (großes Steingerölle am Tobel) herunter. Er weiß wohl, daß bei der Tobelburg schon öfters einer etwas Unrechtes gesehen hat und dieser Wurm auch kein rechter Beißwurm sein kann. Deshalb schaut er in einemfort beim Gehen auf den Wurm herab und fürchtet sich, derselbe könne ihn lebendig und also ganz, wie er war, schlinden; einen so weiten Rachen hatte das Tier!

Und wie er oben ist und das Kunter g'rad "unter sein" hat, läßt dieses sich auseinander und richtet sich hoch auf. Da überfällt ihn eine solche Furcht, daß er oben über die "Mauern" hin und durch den "Birchwald" (ein Birkenwäldchen, das an die "Mauern" grenzt) rennt. Aber der Wurm setzte ihm mit unglaublicher Schnelligkeit nach. Zuunterst springt der Mensch endlich auf den Weg hinab und schielt hinter sich nach dem Wurm. Er sagte später: Wenn er sich niedergeworfen hätte, würde ihn das Kunter erreicht haben, so nahe sei es hinter ihm gewesen! Voll Entsetzen lief er noch ärger bis heim in die Stube. Da war er nun windelweiß und struppig, legte sich zu Bette und erholte sich lange nicht mehr.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 635 f.