DIE RÄUBER IN DER CHRISTNACHT
Zum Maggner in Wangen kamen alljährlich in der Christnacht Räuber, taten sich gütlich und nahmen mit, was ihnen gefiel. Die Hausleute hüteten sich wohl, ihnen entgegenzutreten; denn jeden, der das wagte, schlugen sie tot. Daher gingen die Leute lieber nach Wangen zur Christmette hinauf und versteckten vorher, was sie nicht in die Hände der Räuber fallen lassen wollten.
Einmal waren sie gerade wieder in voller Arbeit, die besten Sachen zu verstecken, bevor sie zur Christmette fortgingen, da kam zur Haustür herein ein meeraltes Mannl aus Venedig und bat um Nachtherberge, es käme heut' nicht mehr weiter.
"O mei liabs Mannl", sagte der Bauer, "do kannsch nöt bleibm, as tian alm in dear Nacht Raber kemmen; sigsche ja, daß miar a bißl öppas af die Seite raumen, weil sie süst alls zamm vartrogat'n. Feartn isch oans darhoam geblieben, in selbm Mensch hohm se lei kro gschwind umgebrocht. Geah nar liaber mit üns af Wangen aui!"
"O, ich fürchte mich nicht", versicherte das Mannl. "Ja, wenne moansch, kannsche meinetwög'n gnua bleibm; wiss'n tuasch's iatz."
Das Mannl blieb, und die andern gingen nach Wangen hinauf. Hinter ihnen sperrte es die Haustür, legte sich dann auf die Ofenbrücke und schlief ein. Schon läuteten die Mitternachtsglocken in Wangen und Afing, da schlug es mit gewaltigen Fäusten an die Haustür und fluchende Stimmen begehrten Einlaß. Das Mannl erwachte, stieg langsam von der Ofenbrücke herab, zündete eine Kerze an und tat auf. Zwölf Räuber stürzten mit geschwungenen Dolchen und Knütteln ins Haus, aber das Mannl schaute sie, ohne ein Wort zu sagen, nur starr an und drohte mit dem Zeigefinger.
Sie fingen an zu zittern, als hätten sie ein Gespenst gesehen, und stillschweigend folgten sie ihm in die Stube nach. Dort stellte er sie, etwas murmelnd, wie Soldaten der Reihe nach auf, und sie mußten "habt acht!" stehen.
Das Mannl stieg wieder auf die Ofenbrücke hinauf und schlief weiter. Endlich kehrten die Hausleute mit Furcht und Zagen heim, öffneten die Haustür und meinten nichts anderes, als daß das Mannl als Leiche in der Stube liegen werde. Ein lauter Schrei des Entsetzens weckte das Mannl auf der Ofenbrücke auf; die Hausleute waren in die Stube getreten und sahen da die Räuber stehen. Sie wollten gleich wieder auf und davon, aber das Mannl hielt sie zurück und redete ihnen die Furcht aus. jetzt erst merkten sie, daß die Räuber "gefroren" gemacht waren und sich nicht von der Stelle bewegen, ja nicht einmal reden konnten.
"Ihr könnt mit den Räubern tun, was ihr wollt", sagte das Mannl, "ihr könnt sie laufen lassen oder vor Gericht bringen." Der Bauer fragte das Mannl, was seine Meinung sei. ja, wenn er es gerade heraussagen sollte, möchte er ihnen raten, die Räuber laufen zu lassen, sprach das Mannl; kommen werden sie gewiß nicht mehr, sonst erginge es ihnen gerade so wie diesmal, und dann möchte der Bauer beim Seiler nur gleich den Strick bestellen.
Daraufhin erlaubte ihnen der Bauer, davonzugehen. Das Mannl hob den Bann
auf, und die Räuber schworen, nie mehr zu kommen. Die haben aber
Füße gemacht! Am Morgen war das Mannl verschwunden. und niemand
hat es nachher wieder gesehen.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 284 f.