DAS WEINENDE FRÄULEIN VON SCHLOß STEIN
Jeden Nachmittag, um drei Uhr, steigt aus den unterirdischen Kellern
der Burgruine Stein ein schönes Fräulein empor, geht langsam
durch die Ruine und benetzt die Trümmer mit ihren Tränen. Niemand
weiß die genaue Ursache für diesen tiefen Kummer des geisterhaften
Wesens, doch vermutet man, daß das Fräulein das Schicksal zweier
ehemaliger Besitzer dieses Schlosses Stein beweint, nämlich des Herrn
Engelmar, der vor den Mauern der Burg Kopf und Leben verlor, und des nicht
weniger reichen und stolzen Ritters Niklas Vintler, der ein unrühmliches
häusliches Ende nahm. Kein Gebet und kein Zauber vermochten das weinende
Fräulein bislang zu erlösen.
Quelle: Weber, P. Beda, Das Land Tirol, ein Handbuch für Reisende. 2. Band, Südtirol. S. 208 und 217