BINDER-HANSL
In Welschnofen lebte ein gewisser "Binder-Hansl", ein sehr starker Mann, mit Weib und Kindern, seines Handwerks ein Binder, der im Jahre 1824, allgemein betrauert, starb; denn er war ein weit und breit berühmter Bauerndoktor, aber auch "Wunderdoktor" hieß man ihn; denn er konnte fast alle Krankheiten heilen, mochten sie Menschen oder Vieh befallen haben, hatte auch allerlei Mittel gegen Hexerei und Verzauberung, und wo etwas Verdächtiges im Hause oder Stall vor sich ging, wurde der Hansl gerufen und half. Ein besonderes Universalmittel besaß er gegen den Wurm am Finger, ein übel, das sehr schmerzhaft ist, wie jedermann weiß, der es kennt.
Einst - in dem Kriegsjahr 1809 - geht der Binder-Hansl nach Bozen. Da begegnet ihm der Schmied von Kardaun, welcher von feindlichen französischen Truppen gezwungen wurde, die große Trommel zu tragen. Der Binder-Hansl ist am Wege hinein, nach Bozen zu, der Schmied herauswärts. Mit Schmerzen klagt er dem Welschnofner seine Not. Da sagt der Hansl: "I stöllat halt dö Trumml nieder, aft war's nöt so schwar." Dem armen Schmied tat der Spott weh; doch die Franzosen straften den Hansl fürs lose Maul, packten ihn und zwangen nun ihn, umzuwenden und die Trommel zu tragen. Er trug sie wirklich bis zur Feigenbrücke bei Kardaun.
Zu Kardaun an der Brücke aber stellte der Hansl die Trommel auf den Boden und sagte: "Da bin ich heraus gekommen, da geh i aa wieder hinein!" Ein wilder Franzose, der recht gut Deutsch sprach, packte ihn beim Rock und sprach: "Kerl, nimm die Trommel auf, oder -" und zeigte auf den Säbel. Doch der Binder-Hansl lachte dazu nur und sagte: "Dös wölln mar seh'n", macht ein Zeichen mit der Hand, streckte über die Franzosen die Finger von der ganzen Hand aus und - alle waren wie aus Stein bewegungslos - er hatte sie "gfrorn gemacht"! So ließ er sie stehen und ging lachend von der Feigenbrücke über den steilen Bergweg hinauf, welchen man "die Katzenleiter" heißt. Erst ganz oben ruft er hinab: "Iatzt habt's gesehen, was i kann, iatzt kinnt's wieder giehn!" Dabei machte er wieder ein Handzeichen, und sie waren wieder regsam und lebendig. Aber da hätte man es sehen sollen, wie sie die Trommel aufgenommen haben und davongerannt sind!
Der Schmied war früher schon abgeschoben, denn der wurde nicht "gfrorn
gemacht", darum mußten die Feinde selbst ihre Trommel tragen.
Quelle: Alpenburg, Johann Nepomuk Ritter von, Mythen und Sagen Tirols. Zürich 1857. S. 310 f.