Die blauen Steine.
Der Zisteler von Welschnoven ist einer der reichsten und angesehensten Bauern in der Umgegend, und doch geht sein Stamm nur drei Geschlechter weit zurück.
Seinen Urgroßvater hat man als Wickelkind von zwei oder drei Wochen vor der Kirche gefunden, das Gesichtlein des Kindes gegen die Kirchentür gerichtet. Damit war deutlich genug gesagt, dass das Büblein vor allem andern in die Kirche zu tragen sei und dass man ihm das Sakrament der Taufe spenden müsse. Man wollte es anfangs auf den Namen Moses taufen, weil es in einem Korbe eingebettet war. Doch den Leuten klang der Name des alten Propheten doch etwas zu jüdisch und dann meinte der Kooperator:
"Die Ziste da ist aus Birkenruten geflochten, ist aber kein Binsenkörblein."
So hieß man das Knäblein denn Pantaleon, weil es am 27. Juli, dem Tage dieses Heiligen, aufgefunden worden war. Dass es in einer Ziste gelegen, sollte der Nachwelt durch die Wahl des Zunamens oder, wenn man schon so sagen darf, Familiennamens Zisteler unvergessen bleiben.
Indes so eifrig die Leute waren, um dem Kindlein Namen zu geben, so zurückhaltend wurden sie in der Beistellung eines Nährvaters. Da meinte der Kooperator: "Nöckelbauer, Kinder hast keine zu Haus. ,A' hast du schon gesagt, weil du den Buben aus der Taufe gehoben hast, jetzt sag auch noch ,B', erbarm dich und nimm ihn deiner Bäuerin mit."
Und wirklich, der Nöckel sagte "B" und wurde vom kleinen Pantaleon mit einem lauten "Gwe-gwe-gwe" als Nährvater begrüßt. Schon nach sieben bis acht Jahren hat dem Bauern diese Wohltat Zinsen getragen und noch später recht ergiebige. Es hat damals weit und breit keinen sorgsameren und willigeren Hüterbuben gegeben als den Nöckel-Tali, so nannte man allenthalben den Pantaleon Zisteler.
Bis hinauf ins Moartal unter die Latemarschrofen hat er seine Kühe getrieben. Dort, angesichts der steinernen Wildnis, war es ihm am wohlsten. Denn der Tali war zeitlebens ein eigener Mensch, ist seine eigenen Wege gegangen und hat seine eigenen Erlebnisse gehabt.
Einmal fand er auf der Wiese eine wunderschöne gelbe Blume, fast wie eine Dotterblume sah sie aus, doch hatte sie ganz andere Blätter. "Abreißen", dachte er sich, "wäre schade. Ich will's ausgraben, das Blüml, und in ein Buschengeschirr geben."
Er grub und grub, aber die Wurzeln wollten kein Ende nehmen. Da fing er an zu ziehen und zog und musste schon aufstehen, um weiterziehen zu können, so lang waren die Fasern. Und auf einmal kam ein Kesselchen aus dem Boden heraus. Das war voller Gold - da bockt gerade eine Kalbin übermütig und frech am Tali vorbei und gibt dem Buben einen Stoß, dass er das Blüml auslässt und der Länge nach ins Gras hineinfällt. Wie er nachher auch suchte und forschte und jeden Grashalm auf die Seite bog - Blumen und Wurzeln, Kessel und Goldstücke waren nimmer zu finden.
Traurig trieb der Bub am Abend heim und erzählte der Ahnl, der Mutter des Nöckelbauern, was ihm begegnet sei.
"O hättest doch nicht auslassen, Bub", jammerte die Alte, "dann hättest du eine arme Seel erlöst und wärest zudem noch ein reicher Mensch geworden."
"Die Kalbin hat die Schuld", murrte der Bub.
"Von einem Kalbel lasst er sich ins Gras werfen, der Heiter! Da ist's dem Innerhagner ganz anders ergangen. Der baut gerade mit seinen Ochsen. Hupla - bleibt der Pflug stecken und die Ochsen können das Fuhrwerk nimmer weiter bringen. Was war's? Die Pflugschar ist in einen großen Kessel hineingefahren gewesen und hat den Kessel halb umgeworfen, so dass die goldenen Taler schon herausgekugelt sind. Wie sich der Innerhagner bückt, um den Kessel ganz aus dem Boden zu heben, da springt ein Rudel von Wölfen auf seine Ochsen zu. Jetzt hat der Bauer freilich was anderes zu tun gehabt, als Schatz zu heben; er hat die Wölfe vertreiben müssen. Wie er dann nachher wieder zu seinem Pflug zurückkommt, ist kein Kessel mehr zu sehen und der Pflug ist durch den Acker gerutscht wie alleweil. Aber das hat schon einmal so sein wollen, das waren bissige Wölfe, aber ein Kalbel Tali, von einem Kalbel hätt ich mich nicht um den vielen Reichtum bringen lassen!"
So greinte die alte Nöcklin mit dem Buben.
Der aber hat von der Stund an Augen und Ohren offen gehabt, wenn beim
Heimgart oder im Winter in der Spinnstube erzählt wurde. Stundenlang
ist er beim Ofen gesessen und hat aufgelauscht, was die Spinnerinnen einander
erzählten.
Die alte Geigerin fing an und erzählte vom Donnerstein.
"Der Donnerstein, der fällt, wenn es blitzt und donnert, aus der Luft und fährt tief in den Wasen hinein. Vergeht die Zeit, vergehen sieben Jahr, da wachsen dann sieben solche Steine aus dem Boden heraus. Wer einen findet, dem fehlt dann nichts mehr, derselbige hat sein Glück schon gemacht. Trägt er den Stein bei sich, so hat er die Stärke eines Bären; lässt er ihn aber daheim, so kann kein Blitz das Haus treffen, kein Hagel seine Saaten, Unheil und Jammer bleiben ihm fern. Wer einen solchen Stein aber suchen will der wird ihn niemals finden. Sieht er zufällig einen aus dem Boden herauswachsen, so muss er ihn auch schon fassen, im nächsten Augenblick ist der Stein schon wieder in den Boden hineingerutscht."
O, der Tali wollte schon hurtig zugreifen!
Und die Tschandlin erzählte von der Krönlnatter.
"Ja und dann ist die Krönlnatter ein großer, langer Wurm mit einem kleinen, goldglänzenden Krönt auf dem Kopf. Zum Springer-Nannele, als es noch klein war, ist die Krönlnatter Tag für Tag gekrochen gekommen und hat mit dem Gitschele aus der Schüssel Milch getrunken. Und einmal hat dann der Wurm sein Krönl in die leere Schüssel gebeutelt und dem Nannele ist seither alles wohl geraten, was es auch angefangen hat."
Da beschloss der Tali, bei der nächsten Gelegenheit das Nannele zu fragen, wohin der Wurm gekrochen sei und wie er ausgesehen habe, und das Krönl möchte er sehen...
Aber da kam die Unterpoppin auf die vergrabenen Schätze zu sprechen, auf den im Kaldruner Zigglbrunnen und auf den in der Erzerlahn, im Reiterjoch und im Keller der Pretzenburg. Sie wusste auch die Leute zu nennen, die diese Schätze bei einem Haar gehoben hätten, und wusste zu erzählen, wieso denn der Schatz im letzten Augenblick doch wieder entschlüpft sei.
"O die Dummköpf!" dachte der Tali.
Dann kam die Krolehen-Muchin mit der Geschichte von den Jocher Fräulein. Das waren noch Zeiten, als diese freundlichen Wesen Tag für Tag den armen Bauern geholfen haben! Wie fleißig sie bei der Arbeit waren vom frühen Morgen bis zum späten Abend! Das Wetter haben sie drei und vier Tage voraus gewusst, und ob das Jahr ergiebig werde oder schlecht, alles war ihnen bekannt. "Bauer, jetzt sä!" und "Bauer, halt ein mit dem Säen!" Dann wieder "Heut wäre ein Wetter zum Roggenschnitt!" oder "Geh mähen, Bauer, das Heu ist zeitig!" Wohl dem, der ihnen gehorchte! Wer sich aber in ihre Geheimnisse drängte, dem erging es übel.
Ja, wenn die Jocher Fräulein nur irgendwo zu erfragen wären !
Die Winklerin erzählte halt immer wieder vom Goldmanndl.
"Blaue Hosen hat es angehabt, die waren aber schon so abgereffelt und von der Sonne gebleicht, dass man die blaue Farbe kaum mehr gesehen hat. In den Klüften ist es herumgestiegen, das Venedigermanndl, in dem und dem Wasserle hat es zu rühren und zu grötschen und zu klauben gehabt. Hat den Sand zusammengekratzt und daraus dann das Gold gemacht. Freigebig ist es gewesen wie ein König, hat den armen Leuten Goldstücklen geschenkt und edle Stein. Den Kohlerbauern aber, der war ein Sonntagskind, den hat es verschiedene Male eingeladen, nach Venedig zu kommen. Wäre er nur gegangen, der Lapp, so wäre es ganz sicher sein Glück gewesen. Aber der gute Kohler hat immer was anderes zu tun gehabt, und so ist er als armer Teufel verstorben."
Da nahm sich der Tali vor, bis nach Amerika zu wandern, wenn es schon sein müsse, - nicht nur nach Venedig.
So erzählten die Weiber Abend für Abend, der Tali horchte auf jedes Wort. Hatte er schon einmal Außergewöhnliches erlebt, so musste sicher noch einmal etwas Wunderbares geschehen.
"Gelt, ich bin an einem Sonntag geboren?" fragte er die Ahnl.
"An einem Sonntag? Ich mein, das ist wohl etwa ein Freitag gewesen, Bub. Ohne Vater zu sein und ohne Mutter, das ist doch mehr Unglück als gewöhnlich."
Der Tali aber rechnete anders.
"Wenn ich kein Sonntagskind war, so hätte ich damals die gelbe Blume auch nicht finden können. Und wer das eine Mal die Schatzblume erlugt, der kommt das andere Mal zum Schatz selber."
Und die "Rechnung war richtig. Einmal, da hütete der Tali wiederum oben im Moartale. Und weil eine Kuh gar nicht auf der Weide bleiben wollte und immer wieder in die Knoten hinaufstieg, trieb er sie zuletzt mit Steinwürfen herunter.
Da stand plötzlich ein kleines, untersetztes Männlein neben ihm, mit grauem Haar und weißem Bart, so plötzlich, als wäre es aus dem Boden gekrochen. Das sagte greinend zum Buben:
"Leichtsinn, unglaublicher Leichtsinn! Bub, du wirfst dem Vieh auch Steine nach, die mehr wert sind als die ganze Kuh."
Ein anderer als der Tali hätte nun vielleicht gelacht und hätte zu dem fremden Männlein gesagt:
"Dann nimm dir nur einen Ströbsack voll von so kostbaren Steinen mit", oder so etwas Ähnliches.
Und dann hätte sich das Männlein natürlich über den Spott geärgert und hätte nichts mehr gesagt oder doch nichts Gutes mehr. Aber der Tali muss halt doch ein Sonntagskind gewesen sein, denn er hat nicht gelacht, so drollig das Männlein auch aussah und so seltsam seine Rede war. Der Bub nahm einen Stein von denen, die er der Kuh nachgeworfen hatte, vom Boden auf und beguckte ihn von allen Seiten. Nach seiner Meinung war es ein ganz gewöhnlicher blauer Stein.
"Ja, wohin soll ich denn die blauen Steine bringen?" fragte der Hüter. "Wer gibt mir denn etwas dafür?"
Da schwieg das Männlein eine Weile und sah den Buben mit durchdringendem Blicke an, als wollte es überlegen, ob es reden solle oder nicht. Der Tali aber bat:
"Geh, sag mir doch, was ich mit den Steinen machen soll!"
"Ja, die Steine", begann das Männlein, "die haben einen großen Wert. Ein Stück Gold von dergleichen Größe ist kaum soviel. Von diesen Steinen ist der Karersee so schön blau gefärbt. Es liegt nur ein einziger Block davon am Grund des Wassers und der gibt aus, um den See noch jahrhundertelang so schön zu färben. Nimm einmal zwei oder drei solcher Steine mit, wenn du nach Bozen gehst, und zeig sie dem Färber in der Weintraubengasse. Da wirst du dann sehen, was der für Augen macht und was er dir dafür bietet. Aber gib sie ihm nicht, wenn er sie dir nicht mit Gold aufwiegt, Stück für Stück. Und sag keinem Menschen etwas davon, sonst geht's dir schlecht."
Daraufhin ist das Männlein langsam davongegangen.
Der Färber in der Weintraubengasse hat wirklich recht große Augen gemacht, als ihm der Tali ein paar kleine blaue Steinchen auf die Budel gelegt hat.
"Das sind aber nette Steindlen! Wo hast denn die gefunden, Büabel?"
"Ja, gefunden Hab ich sie wohl, aber das ,Wo' weiß ich nimmer", sagte der Tali langsam und bedächtig, als wenn er nicht bis fünfe zu zählen verstünde. "Vielleicht, wenn Ihr sie brauchen könnt, find ich wieder einmal eines oder zwei."
"Ja, wo bist du denn her, Büabel?"
"Müsst Ihr das wirklich wissen? Sagt mir lieber, ob Ihr mir die Steine abkaufen wollt!"
"Ja, freilich kauf ich sie dir ab. Da hast einen Silbergroschen
dafür und bring mir bald wieder
davon."
Da klaubte der Tali seine blauen Steine mit einem Griff zusammen, warf den Groschen hin und wollte zur Türe hinaus. -
Und schließlich wog ihm der Färber die Steinchen tatsächlich mit Goldstücklen auf und der Tali nahm auch noch den Silbergroschen, der noch immer auf dem Tische lag, und sagte:
"Den bekomme ich wohl als Trinkgeld fürs Bringen? Sie sind soviel schwer gewesen, die Steine."
So ist der Nöckel-Tali mit seinen blauen Steinen nach und nach ein reicher Mann geworden, nur hat das keine Menschenseele gewusst. Er heiratete die Mosertochter und kam durch diese Heirat auf einen über und über verschuldeten Hof. Es hat ihm keiner von seinen Freunden Glück wünschen wollen zu dieser Erwerbung, eine solche Misswirtschaft herrschte auf diesem Anwesen. Dass aber hier in kürzester Zeit gründlicher Wandel geschaffen wurde, dass der Viehstand in zwei bis drei Jahren auf das Zehnfache wuchs, dass eine Wiese, eine Weide nach der andern aufgekauft wurde, dass der Bauer sein Haus vergrößern und neu herrichten lassen konnte, das alles vermochte man sich freilich nicht zu erklären und schrieb es kurzerhand der Tüchtigkeit des Tali zu.
Erst nach seinem Tode wurde es bekannt, wie es in Wirklichkeit zugegangen sei. Denn auf seinem letzten Lager hat der alte Zisteler den Seinigen von den wunderbaren blauen Steinen erzählt und von dem guten Geschäft, das er mit ihnen gemacht hat.
Sein Bub hat wohl Kraxen um Kraxen voll von Steinen nach Bozen gebracht. Der Färber hat sie aber alle zusammen nicht brauchen können und hat gesagt:
"Mit dem Plunder da möchtest du mich blau anlaufen lassen, aber Gewand färben kann man damit nicht."
Die Steine, die der junge Zisteler in die Stadt getragen hat, haben wohl so ausgesehen, wie sie ihm sein sterbender Vater beschrieben hat, aber wert gewesen sind sie sauber nichts, aber schon gar nichts. Sonst müsste der Eisack bei Bozen ebenso schön blau sein wie der Karersee oben beim Latemar. Denn so manche Kraxen voll hat der junge Bauer über die Eisackbrücke rumpeln lassen.
Seitdem ist's mit dem Blaufärberhandwerk in der Weintraubengasse
immer mehr abwärts gegangen. Die Gesellen verliefen sich, und da
dem Meister die Wundersteine ausgegangen waren und er die schöne
blaue Farbe nicht mehr bereiten konnte, machte er blau - zuerst den Montag
und dann die ganze Woche. Es kamen andere Schönfärber in die
Höhe und die Bozner Frauen tragen seither Gewänder in allen
Farben des Regenbogens, auch wohl blaue dann und wann einmal. Die stehen
ihnen aber alle zusammen lange nicht mehr so gut zu Gesicht wie die wunderblauen
vor hundert Jahren. Schade! Aber ohne die Wundersteine lässt sich
eben nichts machen. Bist du ein Sonntagskind, so versuch's, vielleicht
kannst du die blauen Steine wieder finden unter den Latemarknoten. Halbscheid
dann, gelt, dir und mir!
Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten,
Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 87-98.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.