Die Schoaten-Mäus.
Bei einem Bauern in Untervöls stand ein Knecht im Dienst. Schaute man dem bei der Arbeit zu, so juckte es einen in den Händen, dem langsamen "Soandler" zu helfen. Heut einen Griff, morgen keinen, übermorgen vielleicht wieder einen, vielleicht auch nicht.
Das Mähen ging ihm so langsam von der Hand, dass man kaum sehen konnte, nach welcher Seite er die Sense bewegte. Beim Holzhacken brauchte er schier eine Viertelstunde, bis die Axt das erste Mal im Prügel festsaß - und bis er erst so ein mittelmäßiges Scheit gespalten hatte, das war nicht zum Erleben. Sollte er mit den Ochsen ausfahren, so vergingen gute drei Stunden, bis er den Wagen aus dem Schupfen brachte; dass die Ochsen noch am selben Tage an die Deichsel kämen, schien ganz ausgeschlossen zu sein, wenn man ihm so zuschaute, wie gemächlich er dabei ans Werk ging.
Wenn man ihm zusah bei der Arbeit! Wenn er aber allein bei irgendeiner Verrichtung war, so fand man ihn vielleicht um fünf Uhr noch auf der Wiese liegen - kein Grashalm war noch geschnitten - und um sechs waren drei bis vier Tagmahd Heu gut ausgetrocknet im Stadel. Oder das Fuder Holz, das er in die Stadt führen sollte, stand um vier Uhr abends noch immer vor dem- Wirtshaus am Steg und der Michl - so hieß der faule Knecht - saß schon bei der sechsten Halben drinnen in der Stube und gab gerade die Karten aus zum dreißigsten oder vierzigsten "Watter" - und um fünf Uhr war er mit seinem Gespann daheim, war in der Stadt gewesen und hatte das Holz richtig abgeladen.
Wie er das machte, blieb allen ein Rätsel. Kurz und gut, der Michl war trotz seiner Faulheit kein schlechter Arbeiter, ja er schaffte für drei und vier, wenn es sein musste - und wenn er allein war.
"Michl, i hon koa Fezzele Holz mehr in dr Hütten, geah hol mer
an Bucklkorb voll Schoaten asn Wald! Kriagsch grüene Türtlen
ze Mittag."
Dies Lockmittel, glaubte die Bäuerin, werde ihn gewiss anreizen, hurtiger zu sein beim Aufsammeln und Heimtragen der Axtspäne, die oben am Holzplatz in großer Menge lagen.
Doch als um zehn Uhr noch immer kein Michl zu sehen und die Bäuerin im Kochen aufgehalten war, schickte sie ihren Buben, den Ander, in den Wald, um den Wicht zu mahnen. Der Bub wollte für seinen Gang auch einen Spaß haben und nahm sich vor, den Wicht von rückwärts zu beschleichen, ihm die Hände vor die Augen zu halten und ihn raten zu lassen, wer denn da zu ihm gekommen sei.
Deshalb kroch er vorsichtig zum Holzplatz und kam gerade in die Nähe des Michls, als dieser vom Boden aufstand und sich die Augen rieb. Dann hörte der Bub, wie der Wicht seltsame Sprüchlein hersummte, und sah, wie er mit den Händen sonderbare Zeichen beschrieb.
Auf einmal wimmelte es am Holzplatz von Mäusen, alle "Schoaten" verwandelten sich nach und nach in solches Ungeziefer und liefen wie der Wind den Berg hinunter und ins Bauernhaus hinein. Sogar die halblosen Rinden an den Bäumen wurden zu Mäusen und zappelten und zerrten so lange, bis sie vom Baume loskamen und ebenfalls den Berg hinunterhuschen konnten. Im Handumdrehen war der ganze Platz von Spänen gesäubert, als hätte man mit Besen aufgekehrt.
Jetzt sprang der Knecht mit einem einzigen Satze vom Walde hinunter zum Bauernhaus. Es sah aus - hat der Ander nachher erzählt - als wenn der Michl aus einem Pöller geschossen worden wäre.
Als der Bub nach Hause kam, lag ein Teil der "Schoaten" schön
aufgeschichtet in der Küche - es waren wieder "Schoaten",
der Ander fand nichts Mausartiges mehr an ihnen - der andere Teil lag
in bester Ordnung neben dem Stadel.
Beim Essen wollte der Bub den Michl ein wenig necken und sagte zur Bäuerin:
"Muatter, bisch woltan derschrocken, wia af amol die vielen Mäus in die Kuchel kemman sein?"
"Was für Mäus denn?" fragte die Bäuerin ahnungslos.
"Ja, die Schoaten-Mäus, dö dir der Michl gschickt hat."
Da wusste der Knecht, wie viel es geschlagen habe und dass er belauscht
worden sei, versorgte seinen Löffel und ging aus der Stube. Man hat
ihn nie mehr gesehen, hat niemals mehr von ihm gehört.
Der Pfarrer aber sagte, der Michl sei ein Zauberer gewesen. Zauberer hin
und Zauberer her! Es hat schon öfter einer Mäuse gesehen, die
in Wirklichkeit keine waren.
Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten,
Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 70-73.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.