Hauensteiner Wunder.
In dem alten, verfallenen Hauensteiner Schloss ist ein unermesslicher Schatz vergraben. Schon so mancher hat sich bemüht, dort oben auf eine billige Art reich zu, werden, hat gepickelt und geschaufelt, gestochen und gegraben, ohne von der Arbeit auch nur den Nutzen zu haben, den er gehabt hätte, wenn er diese Mühe auf seinem Erdäpfelacker aufgewendet hätte.
Manchem ist es mindestens etwas besser ergangen.
So hatte ein Bauer von Seis ebenfalls die ganze Nacht dort oben gesucht und nichts gefunden, hatte die Schaufel schon geschultert und wollte heim. Da sieht er an einem Fensterstock ein paar halbblinde Butzenscheiben und nimmt sie mit.
Zu Hause waren es kostbare Kristalltafeln, so klar wie Wasser.
Ein anderer sieht am Tor ein paar schöne Geierfedern angenagelt und steckt sie auf seinen Hut.
Daheim waren es schwersilberne Löffel.
Ein dritter fährt mit der Hand durch einen Kranewitstrauch, der zwischen den Trümmern herauswuchs, und lässt die wenigen Beerlein, die ihm zwischen den Fingern bleiben, in seinen Sack gleiten.
Nach einigen Tagen greift er wieder in die Tasche und findet dort wunderschöne, geschliffene Granaten.
Wieder ein anderer nimmt ein paar Tschurtschen mit - für seine Kinder zum Spielen - und hat nachher ebenso viele Goldklumpen.
Das waren Zeiten - und wie ist es heute?
Mancher glaubt, dass er eine kostbare Perle besitze, aber niemand möchte ihm auch nur einen Hosenknopf dafür geben. Dein Edelstein gilt eine Kranewitbeere oder noch weniger. Das Goldherz ist so wertvoll und so treu wie ein Tannenzapfen, der lässt seine Blättchen auch nach allen Seiten hinfliegen.
O Zauber von Hauenstein, wie hast du dich verändert!
Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten,
Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 62-63.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.