DIE KELLNERIN BEGEGNET DEM ALMGEIST
In einem Wirtshaus zu Klausen erzählten die Gäste allerlei Geschichten von dem Seiser-Alm-Geist. Es kam aber die "Kellerin" herzu und behauptete, man brauche das Zeug nicht zu glauben. Da begann ein Streithandel, der zum Schluß in eine Wette verlief. Die Kellerin machte sich anheischig, in der Nacht die unheimliche Schwaige aufzusuchen und zum Zeugnis der Anwesenheit alldort den Milchseiher mitzubringen. Dafür sollten ihr acht blanke Taler zuteil werden.
In einer hellen Mondnacht machte sie sich auf, lockte den mächtigen Hofhund und stieg das steile Gebirge hinan. Endlich hörte die Steigung auf. Der Weg zog sich durch die Almwiesen dahin, und das Mädchen begann langsamer zu gehen. Da schallte es von ferne wie aus einem Bockshorn, und der zottige Hund, der vorausgeeilt war, machte kehrt und rannte keuchend an ihr vorbei den Heimweg hinab und achtete ihres Rufes nicht.
Sie rastete ein wenig und überzählte dabei im Geiste die acht blanken Taler. "Alle guten Geister loben Gott den Herrn", rief sie und ging vorwärts. Endlich erreichte sie die Schwaige, sperrte die Tür auf und machte ein Feuer an, um sich daran zu wärmen. Schon flackerte es auf dem Herd, als sie einen gellenden Stoß in das Horn vernahm und wieder einen und bald einen dritten, aber noch von fern.
Aber das trara! trara! kam immer näher. Sie bekreuzte sich, riß den Milchseiher von der Wand und verkroch sich hinter die Tür. In dem Augenblick blies es schon vor der Hütte, dann ging die Tür auf, und herein trat der riesige Almgeist mit feurigen Augen. Der Geist ging dem Feuer auf dem Herde zu, schürte und schürte und kochte sich ein Süpplein. Ab und zu wandte er seinen Kopf und grinste nach der Ecke hin, wo sich das Mädchen angstvoll zusammendrückte. Das Süpplein dampfte, und das Gespenst lud mit höhnischem Grinsen und gebietender Handbewegung die Kellnerin zum Essen ein.
In Schweiß gebadet, hockte diese noch immer im Winkel und wollte
seine Gastfreundschaft nicht verstehen. Da kam der Geist auf sie zu, um
sie zu holen. Das Mädchen aber schoß in ihrer Todesangst in
die Höhe, stieß das Gespenst mit der Kraft der Verzweiflung
von sich und rannte zur Tür hinaus, den Milchseiher fest an sich
pressend, und den Bergweg hinab und kam erst zu Atem, als die im Morgengrauen
den Kirchturm vonn Klausen gewahrte. Indem hörte sie auch schon betläuten.
Daheim nahm sie zwar die acht Taler in Empfang, weil sie den Milchseiher
vorweisen konnte, aber sie erkrankte schwer und stand nimmer auf.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 358 f.