DIE GEISTER IN DER KIRCHE ZU VÖLS

Bei einem Bauern in Untervöls diente eine überaus brave und fromme Dirn, welche gewohnt war, täglich in die Dorfkirche zur Messe zu gehen. Sie mußte, weil der Bauernhof weiter von der Kirche entfernt war, immer sehr früh aufstehen.

Da war es ihr einmal in der Nacht, als hörte sie zur Frühmesse läuten, und sie sprang eilends aus dem Bett und beeilte sich, um nicht zu spät zu kommen. Die Kirchtür war offen, doch sah sie noch niemand darin. "Besser zu früh als zu spät", dachte sie, kniete in einen Stuhl und betete. Aber es kam noch immer niemand. Auf einmal war es ihr, als hörte sie mehrere Leute beten. Es war gar nicht weit hinter ihr, und die Beter murmelten nur so, daß sie nichts verstand. Sie schaute hinter sich, sah aber niemanden.

Da, plötzlich schlug es im Turm Mitternacht, und es zupfte sie jemand am Ärmel. Die Dirn schaute erschrocken um und bemerkte beim Scheine der Kirchenlampe ihren verstorbenen Großvater. Der Schauer rüttelte die Arme. Als dies der Geist wahrnahm, sagte er: "Anichle, hab nur keine Furcht! Geh schnell aus der Kirche, laß aber, bevor du zur Tür kommst, irgend etwas zur Lösung zurück, dann kann dir nichts geschehen! Weißt du, jetzt gehört halt die Zeit uns."

Indem gewahrt sie mit Entsetzen, wie sich der Boden neben ihr auftut und lauter Gespenster heraufsteigen. Sie verläßt augenblicklich den Stuhl, wirft ihr Fürtuch auf den Boden und läuft durch die noch immer offene Tür aus der Kirche und, ohne sich umzusehen, den Weg hinunter und heim. Am andern Morgen fand man das Fürtuch in tausend Stücke zerrissen auf dem Kirchenboden.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 359