DER EINSIEDLER IM "TURM AM HANGENDEN STEIN"

In den buschbestandenen Felshängen des "Hangenden Steins", nordwestlich von Unterrain gelegen, sieht man die spärlichen Reste eines alten Gemäuers, das im Mund der Einheimischen als "Turm am Hangenden Stein" bezeichnet wird. In diesem alten Gemäuer hauste vor hundert und mehr Jahren ein Einsiedler, der mit Korbflechten und anderen kleinen Arbeiten sein armes Leben fristete. Er war in der Gegend weitum bekannt und gerne gesehen, da er es auch verstand, für Menschen und Vieh heilkräftige Tränklein zu bereiten; und sonn- und feiertags ministrierte er gern in der Paulsner Pfarrkirche.

Schon öfters waren in dem von jeher unheimlichen Gebiet um den "Hangenden Stein" vom Markt Heimkehrende oder sonst Leute spurlos verschwunden. Da begab es sich einmal, daß der Dorfschmied von St. Pauls an einer Arbeit in Andrian zu tun hatte und erst spätabends den Heimweg antrat. Beim "Hangenden Stein" wurde er plötzlich rücklings aus dem Hinterhalt angefallen; kräftig wehrte er sich seines Lebens und schlug mit einem Eisenstück, das er zufällig bei sich trug, dem Wegelagerer ein paarmal tüchtig über den Kopf, worauf dieser die Flucht ergriff. Die Erzählung des Schmiedes machte im Dorf wohl einiges Aufsehen, mehr aber noch das Nichterscheinen des Einsiedlers beim Gottesdienst am nächsten Sonntag. Er wird wohl nicht erkrankt sein, der gute Eremit? Eilig machten sich nun Leute auf den Weg zur "Oansiedl-Hütt", wie man den Turm im Gewände auch nannte, um nach dem Alten zu sehen.

Der aber lag sterbend auf dem Stroh, halbverhungert - und mit einer klaffenden Wunde am Kopfe! Er gestand den Leuten seine Missetaten und starb bald darauf. So hatten die Hiebe des Schmiedes von St. Pauls dem verkappten Wegelagerer ein jähes Ende bereitet.

Quelle: Innerebner Georg, Der Turm am hangenden Stein, in "Der Schlern", 1938, S. 100 f.