DER HAUSGEIST BEIM MÜLLER IN PFUß
In der Nähe von Kaltern liegt der Weiler Pfuß. Da wohnte der biedere Müller Florian, bei dem sich täglich ein kleines, gespenstiges Männlein einzufinden pflegte. Es war sehr anstellig und tat den Leuten gar niemals etwas zuleide. Daher gewöhnten sich die Hausleute daran und gewannen den Hausgeist allmählich lieb.
Und als der Storch dem Müller eines Tages gar einen wackeren Buben eingelegt hatte, den er für sein Geschäft auch wohl brauchen konnte, war das Männlein überaus freudig überrascht und kam fleißig, den kleinen Schreihals zu wiegen. Mit der Zeit wurde es aber übel gelaunt und wiegte so stark, daß der Bub aus der Wiege fiel und schrecklich brüllte. Diese Musik gefiel dann dem Männlein über die Maßen, so daß es laut auflachte. Es wurde aber von Tag zu Tag ärger, und immer wieder flog der Kleine aus der Wiege zu Boden. Einmal kam der Müller herauf und jagte den Geist zum Tempel hinaus, aber er ging nicht und wiegte fort und kicherte.
Da ging der Müller zum Pfarrer nach Kaltern und fragte ihn, was da zu tun sei. Der Pfarrer meinte, er solle den Geist ordentlich zur Rede stellen und die Anrede mit den Worten beginnen: "Alle guten Geister loben Gott den Herrn, was ist dein Begehren? Rede laut, daß ich dich verstehe!" Mit diesem Bescheid verließ der Müller den Pfarrhof und war fest entschlossen, den Geist gleich am selben Abend noch zur Rechenschaft zu ziehen. Aber wie es so geht, er mußte der Kundschaft halber, wo der Gott Bacchus seinen Arm herausstreckte, zukehren und sich die gehörige Schneid antrinken. Daher kam er ziemlich angeheitert erst am Abend heim. Und da traf er noch richtig den Hausgeist, der in der Stube mit allen Kräften wiegte.
Er packte ihn sogleich beim Kragen, und weil ihm nimmer der ganze Spruch in den Sinn kam, rief er bloß: "Red' laut, daß ich dich höre", und setzte dazu "sonst drehe ich dir den Kragen um!" Dabei beutelte er das Männlein immerfort hin und her. Der Geist warf zornige Blicke auf den Müller und entwand sich endlich seiner Faust. Im Nu war er bei der Haustür und lief ins Freie. Der Müller wackelte ihm nach, war aber doch so gescheit, daß er unter der Dachtraufe stehen blieb, denn er hatte immer gehört, daß einem unter der Dachtraufe kein Geist etwas anhaben könne.
Da blieb er also stehen und ballte die Faust nach dem Männlein,
das ihm fortwährend deutete, ihm zu folgen. Wäre der Müller
weiter gegangen, so würde ihn der Geist unfehlbar zerrissen haben.
Durch das übermäßige Wiegen wollte aber der Geist die
Hausleute wohl zwingen, ihn anzureden, wie man Geister anreden muß;
dann wäre er erlöst worden. Weil ihn aber der Müller nicht
auf die rechte Art anredete, meinen die Leute, wurde seine Erlösung
vereitelt.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 470 f.