DIE TEMPER
Die Wilde Fahrt heißt in Ulten auch die Temper, wohl deswegen, weil sie sich an den Quatemberzeiten besonders oft zeigen soll.
Eines Abends kam ein fremdes Männlein zu einem Hof und bat um Nachtherberge. Man sagte ihm, im Hause sei kein Platz, und in der Strohhütte werde er wohl nicht liegen wollen, weil diese Nacht wahrscheinlich die Temper komme. Das Männlein aber wußte von keiner Furcht und ging in die Strohhütte.
Fenster mit Gitterstäben an einem Bauernhaus
im Ultental (Südtirol)
Auch bilden die Stäbe ein Kreuz
© Berit
Mrugalska, 17. Mai 2005
Des Nachts kam wirklich die Temper und der Knecht, der den
Lärm hörte, stand auf und schaute zum Fenster hinaus. Da rief
eine Stimme zu ihm herauf: "Wenn du nicht hinter dem Kreuzeisen wärst,
so würdest du schon etwas kriegen!" Das Fenster, durch das der
Knecht hinausschaute, war nämlich durch zwei solche sich kreuzende
Eisenstangen geschützt. Am andern Morgen, als die Leute hinausgingen
und nach dem Männlein schauen wollten, hing ein Viertel davon an
der Haustüre und die übrigen drei Vierteile lagen zerrissen
in der Strohhütte.
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 23, S. 15