DIE TRUDE
Es war einmal eine Trude, die konnte immer sehr wenig schlafen und blieb
daher immer so mager und hatte ein so schlechtes Aussehen, daß jedermann
glauben mußte, sie habe einen Teggen. Der Bauer, bei dem sie im
Dienst war, stellte sie einmal darüber zur Rede und fragte sie lange
Zeit hin und her, wo es denn fehle und wie ihr zu helfen wäre. Sie
wollte nicht recht heraus mit der Sprache, fragte aber endlich, ob sie
den besten Stier im Stall erwürgen dürfe. Der Bauer gab ihr
lachend die Erlaubnis dazu, denn er meinte, dazu werde das Mädchen
wohl nicht die Kraft haben. Aber richtig, des andern Tags lag der schönste
Stier erwürgt im Stall, und der Magd war für immer geholfen.
Denn sie brauchte jetzt nicht mehr bei der Nacht beständig herumzufahren,
sondern hatte Schlaf und Ruhe genug und schaute in kurzer Zeit so frisch
und gesund aus, als ob ihr gar nie etwas gefehlt hätte. (Ulten.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 818, S. 481