Die Frau auf dem Schlosse Montan
Ein Taglöhner, der in der Nähe des Schlosses Montan seine Feldarbeit verrichtete, hatte einst folgende Erscheinung. Eine reich geschmückte Frau stand auf den Zinnen des Schlosses und schaute ihn starren Blickes an. Er wurde aber zum Mittagessen gerufen und wollte in das Haus hinübergehen. Da bewegte die Frau ihre Hand und winkte ihm heraufzukommen. Er wagte es nicht, ihrem Winke zu folgen, und gieng weiter. Noch einmal schaute er zurück, und abermals winkte ihm die Frau. Er ließ sich wieder nicht bewegen und gieng fort. Da hörte er ein Knarren und Krachen, ein Weinen und Schluchzen, daß er sein Lebtag nichts solches gehört hatte. Seit dieser Zeit wurde von dieser Frau nichts mehr gesehen und gehört, und das Volk ist sehr unzufrieden mit dem Taglöhner, daß er den Bitten der geisterhaften Frau keine Folge geleistet hat. Denn man glaubt, wenn er hinaufgegangen wäre, so hätte er sie gewiß erlöst. (Bei Schlanders.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 534, S. 300