DER GEIST AM MARKSTEIN
In Auer lebte vor Jahren ein reicher Bauer, welcher in St. Martin in Außerfeld (so werden die Auerer Güter, die gegen Norden liegen, genannt) ein sehr großes Grundstück besaß, woran das Gütchen eines Kleinhäuslers grenzte. Der Bauer hätte das Gütchen, weil es sein Besitztum schön abrundete, gerne an sich gebracht. Doch der Eigentümer wollte von einem Verkauf nichts wissen, da es ihm ein teures Erbgut war. Um nun doch zum Ziele zu gelangen, setzte der Bauer zur Nachtzeit so nach und nach seinen Grenzstein immer weiter in das Gütchen des Armen hinein. Er hatte auf diese Weise schon einen großen Teil desselben zu seinem Eigentum gemacht, als er plötzlich erkrankte und starb.
Am Tage seines Begräbnisses ging sein Sohn auf das Feld hinaus.
Da sah er mit Schrecken seinen Vater am Grenzstein zerren. Auf seine Frage
gab ihm dieser zur Antwort: "Ich bin verurteilt, an jedem Jahrestag
meines Todes diesen Markstein um eine Linie gegen mein Feld zurückzuversetzen,
bis er am rechten Orte steht." So hat man ihn viele Jahre lang am
Marksteine zerren gesehen, und erst seit einiger Zeit hat der Spuk aufgehört.
Manche Leute gehen an diesem Steine nie vorüber, ohne ein Kreuz zu
schlagen.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 475