DER SCHATZ AUF DEM PETERKÖFELE BEI LEIFERS

Auf dem Peterköfele ober Leifers wohnt eine verzauberte Jungfrau, welche einen Schatz hüten muß. Sie wäre gerne erlöst, und viele haben es schon versucht, die Jungfrau zu befreien und den Schatz zu gewinnen, aber das hätte nur ein unschuldiges Kind zustande bringen können. Einmal war die Jungfrau nahe daran, erlöst zu werden.

Es stieg nämlich an einem Frühlingsmorgen ein Mädchen von zwölf Jahren aus Leifers zum Kirchlein empor, um oben Blumen und allerlei Kraut zu pflücken. Während es so im eifrigsten Sammeln war, trat ein gar vornehmes Fräulein herzu und half dem Kind bei seiner Arbeit. "Wozu brauchst du denn die Kräuter?" fragte sie das Mädchen. Dieses sagte: "Ich muß sie der Nahnl bringen, die bereitet heilsamen Trank daraus." Als es gegen Mittag ging und das Kind nach Hause wollte, sagte das Fräulein: "Willst du mir nicht auch einen Dienst erweisen?"

"Ja, gern", erwiderte das Mädchen. "Siehe", fuhr das Fräulein fort, "ich bin da heroben verzaubert, und du kannst mich erlösen. Komm morgen um dieselbe Zeit wieder herauf, dann wirst du mich auch wieder finden, aber nicht mehr in Menschengestalt, sondern in der Gestalt eines Wurmes. Dreimal wird er sich um deinen Leib winden, das drittemal aber legt er, wenn du aushältst, einen goldenen Schlüssel in deinen Mund, mit dem du die Tür zum Schatz öffnen kannst. Der Schatz gehört dir zur Belohnung, aber Furcht darfst du keine haben, es geschieht dir auch nichts." Das Mädchen versprach zu kommen und ging heim, sagte aber nichts von der Jungfrau und dem Schatze.

Am andern Tag kam es richtig wieder zur Stelle und wartete nicht lange, da kroch ein Wurm heran mit einem goldenen Schlüssel im Maul und wand sich um den Leib des Kindes bis zum Halse hinauf. Der Wurm war so eiskalt, und das Mädchen schauderte, doch es überwand die Furcht. Schon ringelte sich das unheimliche Tier ein zweites Mal herum, und auch diesmal noch hielt das Kind stand. "Ist es doch bald vorbei", dachte es, "und dann habe ich das Fräulein erlöst." Als aber der Wurm sich das drittemal um den Hals des Mädchens schlang und sein häßlicher Kopf sich zum Munde der Kleinen heranbog, um ihr den Schlüssel hineinzulegen, da tat sie einen Schrei des Entsetzens und schnellte mit dem Kopfe zurück. jetzt kroch der Wurm von dannen und den Felsen hinab. Auch das Kind lief in Schrecken davon und hörte noch lange hinter sich laut jammern.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 510