DIE WETTERGLOCKE VON TRAMIN

In Tirol hat fast jedes Dorf eine ausgezeichnete Wetterglocke, und die Bewohner der Gemeinde haben gewöhnlich ein so starkes Vertrauen auf diese Glocke, daß sie meinen, es könne gar kein Hagelschlag passieren, wenn die betreffende Wetterglocke zur rechten Zeit geläutet wird. Wenn es aber trotzdem hagelt, dann hat immer der Mesner die Schuld; "er hat zu spät mit dem Läuten begonnen", heißt es dann.

In Tramin ist besonders die große Glocke im Pfarrturm für die "schiech'n Wetter" gut, und wenn sie bei Anzug eines Gewitters nicht bald geläutet wird, so hört man die Weiber und auch ängstlichere Männer rufen: "Ach wenn sie doch einmal die Große läuten täten, bevor es zu spät ist!" Trotz dieses großen Vertrauens auf ihre Wetterglocke beschlossen die Traminer aber einmal, die "Grdße" den Kalterern zu verkaufen. Denn diese hatten gesehen, daß die Hexen den Hagel, den sie auf Tramin heranführen wollten, beim Erklingen der Traminer "Großen" immer schon über Kaltern abladen mußten. Also wollten sie, die Kalterer, den Traminern die Glocke abkaufen, um so fürderhin den Hagel von ihren Feldern abzuhalten.

Der Kauf wurde abgeschlossen und die Große auf einen Wagen geladen, an welchen man sechs Paar Ochsen gespannt hatte. Doch die Glocke war nicht zum Weiterbringen! Da spannte man weitere Ochsenpaare vor den Wagen - umsonst! Endlich, als 25 Paar Ochsen vorgespannt waren und die "Große" noch immer nicht fortbewegt werden konnte, begann diese zu sprechen und sagte:

Santa Maria Anna heiß i,
schön bin i, das weiß i,
im Traminer Turm bleib i,
die schiech'n Wetter vertreib i!

Als die Traminer dies hörten, beschlossen sie gleich, den Handel rückwärts gehen zu machen, wozu sich endlich auch die Kalterer verstehen mußten. Und ein einziges Paar Kühe zog die "Große" zum Kirchturm zurück!

Quelle: Menghin, Alois, Aus dem deutschen Südtirol. Mythen, Sagen, Legenden und Schwänke, Sitten und Gebräuche, Meinungen, Sprüche, Redensarten etc. des Volkes an der deutschen Sprachgrenze. Meran 1884. S. 17 - 20