Der Zauberer von Castellveder
Es war einmal ein mächtiger Zauberer; der lebte mit einer ganzen Schar von Zaubergeistern auf der Burg Castellveder. Die Burg war von einem Wasser umgeben, und darin patschten giftige Kröten und Salamander umher. Es war auch nicht geheuer um den Berg, darauf das Schloß stund, und die Leute nahmen lieber einen Umweg, und wenn erst eine jugendfrische Dirne da in der Nähe war, verschwand sie gewiß, denn der Zauberer trug solche Beute am liebsten in seine Behausung. Wenn sie sich dann nicht ergeben wollte, sperrte er sie in einen finsteren Thurm und ließ sie verhungern. Schon mancher kühne Held hatte es unternommen, den Zauberer zu züchtigen, aber unter dem Schwerte desselben verlor noch jeder sein Leben; daher wagte sich lange niemand mehr an ihn.
Schloss (Ruine) Kastelfeder, Südtirol
© Wolfgang
Morscher, 5. April 2003
Es ereignete sich aber, daß eines Tages ein stattlicher Rittersmann die Straße herabritt gegen die Burg des Zauberers. Es war ein auserwählter Degen, vom Kopf bis Fuß in Stahl gehüllt, den die Bedrängnis des Volkes ins Land geführt hatte. Er hatte daheim eine wunderholde Braut zurückgelassen, um erstlich die gefährdeten Bräute anderer zu retten. Bis zur Burg war ihm nichts Böses begegnet, da auf einmal erblickte er auf dem höchsten Thurm den Zauberer und forderte den Mädchenräuber zum Kampfe heraus.
Es dauerte nicht lange, da gieng das Schloßthor auf, und der Zauberer kam auf einem seltsamen Reitthier, halb Roß, halb Greif, herangesprengt. Nun begann ein wüthender Streit. Wohl schleudert der Ritter den mächtigen Speer auf den Gegner, allein dieser prallt an dessen gepanzerter Brust ab und saust zersplitternd auf den Angreifer zurück. Jetzt schwingt der Held sein gutes Schwert zu kräftigem Hiebe, der Zauberer jedoch läßt ein tosendes Wasser vor sich entstehen, in welchem der Ritter versunken wäre, hätte ihm nicht seine Braut einen schützenden Talisman mit auf die Reise gegeben. Auch das Feuer, das gleich darauf dem Boden entstieg und über seinem Kopfe zusammenschlug, konnte ihm keinen Schaden thun. Vergebens nahm der Zauberer eine ganze Schar von bösen Geistern zu Hilfe, der tapfere Rittersmann blieb alles Zaubers ledig und schwingt den scharfen Stahl, daß die Funken stieben. Auf einmal sieht er seine Braut vor sich, blutend aus einer klaffenden Wunde, die sein Schwert ihr gehauen, und hört sie weinen und klagen. Dieser Zauber wirkte. Der Held verflucht die That und schleudert erschrocken die Waffe von sich. In dem Augenblicke erfaßt ihn der Zauberer und fährt mit ihm auf seine Burg, wo er den Gefangenen in den Hungerthurm wirft. Des Ritters treues Roß rennt in banger Hast schäumend fort und vor die Burg, in der die Braut seines Herrn wohnt. Diese sprang, als sie das Wiehern vernahm, auf und sah das ledige Rößlein. Anfangs erschrak sie so heftig, daß sie völlig in die Knie sank, aber bald erhob sie sich, und schnell war ihr Entschluß gefaßt, den Bräutigam zu retten, wenn er noch am Leben wäre.
Sie bestieg das treue Thier und ritt spornstreichs nach der Zauberburg im Etschland. Davor fand sie das Schwert des Helden und barg es unter ihrem Gewande. Dann lenkte sie dem Thore zu, wo ein greulicher Drache der Burghut pflag. Aber der Zauberer hatte sie schon bemerkt und führte sie mit teuflischem Grinsen in das Schloß. Dort mußte er der Schönen drei Tage lang die Herrschaft überlassen, ehe sie sich ihm ergäbe. Weil sie nun die Zaubergeister in Dienst nahm, ward es ihr leicht, den Kerker ihres Bräutigams zu erschließen. Da stand der auserwählte Degen vor ihr, und als sie ihn erblickte, mußte sie vor Freude weinen. Aber der Ritter sah, wie sein Schwert in ihrer Hand blitzte, faßte es und hieb damit sogleich dem Zauberer den Kopf ab. Da entstand ein ungeheures Getöse in der Burg; Bären, Wölfe und schwarze Hunde jagten triefend durch die düsteren Hallen, und der Drache vor dem Burgthor flog rauschend durch die Luft davon. Der Berg zitterte, und krachend stürzte, von gierigen Flammen verzehrt, das Zauberschloß in Trümmer. Auch das giftige Wasser mit den Kröten und Salamandern ist verschwunden, aber in finsterer Nacht sieht man noch manchmal auf Castellveder gespenstige Flammen, und nicht selten fährt die wilde Jagd durch das öde Gemäuer.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 527