Der Fluch des Bettelweibes



Zu meiner Großmutter auf dem Betallerhofe kam immer wieder ein Bettelweib. Meine Großmutter schenkte ihr jedesmal etwas aus gutem Herzen. Das Bettelweib setzte sich immer in der Stube nieder und fing an von ihrem Leben zu erzählen. Es sei ihr immer schlecht gegangen und man habe ihr immer unrecht getan; seither habe sie auch an Gott nicht mehr geglaubt und nicht mehr gebetet. Allen, die ihr unrecht getan haben, solle es im Leben schlecht gehen und sie sollen eines unseligen Todes sterben. Meiner Großmutter hatte sie das alles oft und oft schon vorerzählt und sie bei der Arbeit aufgehalten.

Einst trat die Hausmagd in die Stube und meldete, daß das Bettelweib den Ackerrain heraufkomme. "Dann gehe ich gleich in die obere Kammer hinauf zu meinem kleinen Kinde und verstecke mich. Sagt ihr, ich bin nicht da!" Richtig kam das Bettelweib in die Stube und verlangte nach der Bäuerin. Die Bäuerin sei heute nicht da und sie solle ein anderesmal um ein Almosen kommen. "Die Bäuerin ist schon da", antwortete das fremde Weib, "sie ist nur droben in der Kammer bei ihrem kleinen Kinde, dieser Geizhals! Dafür soll ihr das Schauerwetter alles in den Boden schlagen!" Am Hofe wurde ein fremdes Büblein gehalten zum Hüten. Dieser hörte das Gespräch, wurde zornig und hetzte dem Bettelweib den Haushund nach. Im Fortgehen machte sie dem kecken Buben den Finger und rief: "Bubi, gib acht, daß es dir nicht so geht wie einem Hunde!" Dann stieg sie den steilen Berg hinunter. Am selben Abend hatten die Hausleute gemeinsam in der Stube den Rosenkranz gebetet und der Bauer hatte das "Gelobt sei Jesus Christus!" gesprochen. Auf einmal fing das Hirtenbüblein zu bellen an, zu knurren und zu winseln, genau wie ein Hund! Er kroch auf allen vieren auf dem Boden herum wie ein Hund. Er wurde immer wütender und ging auf die Kinder los. Diese stiegen auf die Stubenbänke hinauf, schrien und wußten sich nicht mehr zu helfen. Nach langer Zeit erst ließ sich der Hund beruhigen, hörte auf zu bellen, richtete sich wieder auf und war vernünftig. Doch diese Wutanfälle wiederholten sich immer wieder. Der wütende Hund rannte dann in die Küche hinaus. Dort stand ein großes Schaff voll Wäsche. Wie mit einer Schnauze faßte er das Schaff an und warf es über und über. Die Bauersleute waren ernstlich besorgt, daß der angenommene Hütbub den Fluch des Bettelweibes nicht mehr loswerde. Beim nächsten Kirchgang suchten sie den Pfarrer auf und berichteten ihm den eigenartigen Vorfall. Der Herr Pfarrer gab darauf folgenden Rat: "Wenn der Bub noch genau weiß, wo er gestanden ist, als er dem Weibe den Hund nachhetzte, so soll man den ganzen Rasenplatz kreisrund herausschneiden und im Feuer verbrennen. Er selber werde zum Betallerhof hinaufkommen und das fremde Büblein segnen, mit Weihwasser besprengen und von der Verwünschung befreien. Sobald das alles geschehen war, blieben die Wutanfälle aus und das Büblein war vom Fluche befreit.

Quelle: Die Kartause Allerengelberg im Schnalstal, Rudolf Baur, Bozen 1970, S. 100.