DIE HASELHEXE
Bei einem Bauern war eine Hexe im Dienst, die den Hütbuben gar nicht ausstehen konnte. Bald gab sie ihm eine Ohrfeige, daß ihm der ganze Kopf sang, bald mißhandelte sie ihn auf andere Weise. Die Bäurin sagte kein Wort dazu, weil die Dirn bei ihr in hohen Ehren stand, denn die Kühe gaben so viel Milch, wie früher nie, und Butter und Käse gab es im Überfluß.
An einem Donnerstag mußte sie mit dem Hütbuben in den Berg gehen, um Laub zu streifen. Als sie bei den Stauden war, sagte sie zum Knaben: "Jetzt klaube Laub, daß beide Körbe voll werden, denn ich muß weiter in den Berg hinauf, um Haselnüsse zu suchen. Arbeite nur schnell und schau mir nicht nach! Sind nicht beide Körbe voll, wenn ich zurückkomme, will ich dich durchhauen, daß du's am Jüngsten Tage noch merkst!"
Sie ging und dem Buben kam die ganze Sache bedenklich vor. Als er glaubte, sie sei schon eine Strecke fort, schlich er ihr nach - und sah bald viele Weiber auf einer ebenen Bergwiese tanzen und springen. Doch bald kamen sie zu streiten, faßten einander bei den Haaren und rauften sich so lange, bis sie die Viehdirn zerrissen. Dann ging der Tanz von neuem an. Bald jedoch suchten einige Hexen die Gebeine der Toten zusammen und legten sie in Ordnung. Nur eines konnten sie nicht mehr finden. Nach langem vergeblichen Suchen brach ein Weib von einer Haselstaude einen Zweig und legte ihn statt des fehlenden Beinchens unter allerlei Sprüchen hin.
Alsogleich wurde die Zerrissene lebendig und sprang auf. "Nun bist du wieder ganz", sagte die Alte, "bis dich jemand Haselhexe nennt. Dann ist aber der Zauber hin, und du zerfällst in viele Stücke wie früher." Dies merkte sich der Knabe und schlich alsogleich zu seiner Arbeit zurück. Bald kam sie nach und fand die Körbe noch nicht gefüllt. Da fing sie an zu fluchen und zu schelten und schlug den Knaben sogar. "Laß mich in Ruhe, sonst will ich dir helfen", drohte er. Doch umsonst - sie mißhandelte ihn nur desto mehr. Endlich rief er: "Du bist die Haselhexe!" - und augenblicklich fiel sie in Stücke.
Der Knabe war nun von der Hexe erlöst, der Bäurin aber war
die ganze Geschichte unlieb, denn Milch und Butter nahmen ab, und im ganzen
Dorfe wurde es bekannt, daß sie eine Hexe im Dienst behalten habe.
(Partschins.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 805, S. 470