DIE HEXE VON TSCHENGLS

In Tschengls lebte einst eine weitum gefürchtete Hexe. War auch der Himmel glashell und kein kreuzergroßes Wölklein daran, so kam doch gewiß binnen mehreren Minuten ein schreckliches Ungewitter, wenn die Alte mit ihrem breitkrempigen Hut geschäftig dem Berg zueilte. Dann sah man sie oft auf einem Bock den Hagelwolken voranreiten oder in Gesellschaft von anderen ihres Gelichters die Wolken mit Ofengabeln vom Joche herausschieben. Läutete dann irgendeine hexenfeindliche Glocke, so hörte man ihr Zähneknirschen und Schelten; wenn aber der Mesner das Wetterläuten versäumte, so konnte man zwischen dem Klappern der Hagelsteine deutlich ihr schadenfrohes Gelächter vernehmen. Schmolzen die Schloßen, so fand man Haare von ihr darin eingefroren und Federchen, welche sie den armen Vögelein ausrupfte, um ihre Eisknäuel daraus zu winden.

Am Tage nach einem von ihr herbeigeführten Gewitter war sie geschäftig, vom Hagel zerschlagene Kräuter einzusammeln. Erblickte sie dann jemanden, der über die verwüsteten Saaten trauerte, so schmunzelte sie und machte sich aus dem Staube. Allein nicht bloß an dem Wetter, sondern auch in vielen andern Dingen übte sie ihre Zauberkunst. Bald hatte eine Stalldirn Blut an, statt Milch in der Melter, bald war das Vieh fest an der Erde angefroren und glotzte wehmütig die Umstehenden an, bald brachte man mit dem eifrigsten Kübeltreiben keine Butter zustande, bald waren dem Vieh die Ketten abgenommen, und es lief brüllend und muhend im Stalle herum, als ob die Wölfe darein gekommen wären. Einmal, als sie wieder in einem Stall Spektakel anfangen wollte, wurde sie bemerkt und in aller Eile sperrte man Tür und Fenster zu. An allen Ecken wurden Wachen aufgestellt und dem Gerichte sogleich die Gefangennehmung der Hexe angezeigt. Aber als der Gerichtsdiener kam und der Bauer den Stall öffnete, da war trotz allen Zusperrens und Bewachens die Alte verschwunden.

Wenn die Schafe auf der Weide waren und der Hirt sie abends zusammentrieb, so fuhr ein wildes Tier oder gar ein feuriges Rad mitten in die Herde und jagte die Tiere hierhin und dorthin, so daß der Hirt gute Arbeit hatte, bis alle Stücke wieder beisammen waren. Bisweilen besuchte sie Viehalmen, und jeder Besuch hatte üble Folgen. Bald machte sie das Vieh aufgebläht, bald zerstreute sie es im Gebirge, bald trieb der Senn den Butterkübel umsonst, bald hatte er Unglück beim Käsen, bald konnte der Melker von ungefähr vierzig Kühen nur ein Seidel Milch kriegen, kurzum: bald verhexte sie hier etwas, bald dort.

Ein Senn wurde dieser Geschichten bald überdrüssig und fragte erfahrene Leute, was da zu tun sei. Man riet ihm, er solle ein Seidel Milch ins Feuer werfen, und wenn dann eine Alte komme, so solle er ihr ein Geschenk nicht verweigern, aber zugleich nicht vergessen, einen Besen auf den Stiel hinter die Tür zu stellen. Nach einigen Tagen kam richtig die Alte mit einem verbrannten und verbundenen Kopf und stellte sich vor den Senner, so daß er wohl merkte, sie werde etwas haben wollen. Er stellte aber zuerst den Besen umgekehrt hinter die Tür und gab ihr erst dann ein Almosen. Als sie ihre Sache hatte, sagte er "Wohlaufleben" und hieß sie fortgehen. Sie entschuldigte sich aber und sagte, es sei ihr unmöglich wegzukommen, solange der Besen umgekehrt hinter der Tür stehe. Hieran erkannte der Senner die Hexe, ließ sie gehen und verbat sich für die Zukunft ihre Besuche. Sie war froh, daß sie dieses Mal wegkam und ließ sich auch wirklich nicht wieder sehen.

Auch die Fuhrleute hatten viel von ihr auszustehen. Kam ein mit Wein beladener Wagen durch ihr Revier, so zapfte sie mittels eines Einschnittes in den nächstbesten Baum das kostbarste Fäßchen an, und der Fuhrmann kam mit dem leeren Geschirr nach Hause, indes sich die Alte des süßen Weines freute, der aus dem Baume quoll. Kam ein Wagen mit Schmalz, so machte sie ein Loch in die Erde und hob aus demselben das Schmalz eines Kübels heraus.

Wenn sie durch ein Dorf ging und ein Körblein am Arme trug, so flogen die Hennen ins Körblein und legten dort ihre Eier. Schlachtete man irgendwo ein Schwein und die Alte ging vorbei, so sprang das geschlachtete Vieh noch aus dem Brühzuber heraus und lief der Hexe nach. Kaufte sie in einem Laden etwas, so verwandelte sich das schöne, reine Geld, das sie ausgab, in lauter Baumblätter; begegnete sie unterwegs einem Kinde, so maß sie es mit ihren Spannen ab und das Kind wurde von nun an allnächtlich von der Trude gedrückt. In der Kirche sprengte Sie Sich das Weihwasser über die Achsel, anstatt auf die Stirne und bei der Wandlung schaute sie immer seitwärts.

Daß die Leute dieser Geschichten nach und nach überdrüssig wurden, versteht sich von selber. Man war also darauf bedacht, ihrer habhaft zu werden und sie dem Gericht zu überliefern. Man fand eines Tages gute Gelegenheit, und sie ließ sich ohne alle Widerrede fangen. Lachend ging sie eine Strecke mit, aber auf einmal gab sie jedem ihrer Begleiter eine Ohrfeige, daß er die Sterne beim hellen Tage sehen konnte. Die Hexe lief in Gestalt eines Hasen davon, und die andern hatten an ihrer Statt ein Strohbündel in Händen. (Bei Tschengels.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 802, S. 466