Der Rableiter Almpater
Im Kloster Allerengelberg im Schnalstale nahm einstmals ein verwöhnter junger Adeliger den Habit des hl. Bruno. Obgleich sich der junge Mönch abplagte, der Welt abzusterben, wurde er doch noch beständig von den Freuden und Genüssen der Welt angefochten. Ganz besonders lockte ihn der Teufel mit einer so maßlosen Lust nach Fleisch, daß er die schwere Versuchung nicht zu unterdrücken vermochte. Er dachte bereits daran, deswegen aus dem Orden auszutreten. Der Kartäuser darf nämlich niemals, selbst nicht im Krankheitsfalle, Fleisch oder Fleischspeisen zu sich nehmen. Der Fürst der Finsternis führte dem Mönch einen berüchtigten Wilderer aus dem Pfossentale zu. Dieser versorgte ihn von nun an mit Gemsfleisch.
"Schubloch" einer Klosterzelle in dem Kloster Allerengelberg in Karthaus (Schnalstal, Val Senales)
Foto: © Berit Mrugalska, 2. September 2006
"Die Kartäuser hatten strenge Ordensregeln
zu befolgen. Ihr Leben im Kloster war von
Einsamkeit, Zurückgezogenheit und Schwei-
gen gekennzeichnet. So wurden auch die
Mahlzeiten alleine in der Zelle eingenommen.
Die Mahlzeiten wurden durch das so
genannte "Schubloch", das sich neben der
Eingangstür befand, überbracht. Dabei war
das "Schubloch" so gebaut, dass sich der Mönch
und Überbringer nicht sehen konnten. Nur
an Sonn- und Feiertagen war es den Kar-
täusern erlaubt gemeinschaftlich zu speisen."
"I certosini dovevano vivere secondo regole
molte rigide. La loro vita era caratterizzata
dalla solitudine e dal silenzio. Cosi i
certosini mangiavano anch da soli nelle
loro celle. I pasti venivano consegnati
attraverso uno sportello accanto alla porta
d'inggresso qual' era costruito in tal modo
che il monaco es il portatore del pato non
so potevano vedere. Solo le domeniche es ai
giorni festivi i certosini avevano il permesso
di mangiare collettivamente."
Als der Jagdfrevler wieder einmal eines Nachts auf die hohe Klostermauer geklettert war, stürzte er mitsamt seinem Höllenbraten herab und blieb mit einem Beinbruch gehunfähig liegen. Der Klosterrichter machte ihm kurzerhand den Prozeß und überführte ihn der wohlverdienten Strafe. Der Pater ging in sich, klagte sich demütig an und bekannte offen seine Schuld. Er tat auch strenge Buße. Da erkrankte er schwer und lag auffallend schnell auf dem Rechbrette. Doch erfüllte sich an ihm nicht die Verheißung seines Ordensvaters: "De cella ad coelum!" Aus der ärmlichen Zelle in den schönen Himmel. Er fand die Ruhe im Grabe nicht und wurde auf die Rableiter Alm im hinteren Pfossental gebannt.
Rableit im Pfossental
im Naturpark Texelgruppe gelegen
© Berit Mrugalska, 2. September 2006
Der Geist wird erst erlöst werden, wenn ein heiligmäßiger Bruder seines Ordens einen kräftigen Segen über ihn spricht. Da der Kartäuser seinen Klosterbezirk niemals verlassen darf und Allerengelberg unter Kaiser Josef II. überhaupt aufgehoben wurde, wird der Rableiter Almpater wohl bis zum Jüngsten Gericht die schreckliche kalte Pein zu Rableit erdulden müssen. Deshalb kann man ihn auch jetzt noch, aber nur Freitag nachts und in den Nächten der Advents- und Fastenzeit sehen, angetan mit der weißen Tracht, mit der über den Kopf gestülpten Kapuze und in den Händen ein aufgeschlagenes Buch haltend, darin er die Ordensregel studieren muß, weil er sich gegen eine der wichtigsten so oft vergangen hatte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebte ein Pfarrer in Karthaus, der ebenfalls sehr gerne Fleisch aß. Doch woher immer das Fleisch nehmen? Not lehrt beten, macht aber auch erfinderisch! Er wurde ein tüchtiger Gemsjäger, der nicht wie gewöhnlich die geistlichen Herren mit dem Gebetbuch, sondern stets mit der Büchse zu sehen war. Um Mitternacht kehrte er einst von einem weiten Pirschgang heim, und der Weg führte ihn gegen den Rableiter Stadel zu. Siehe, da wandelte ihm eine weiße, luftige Gestalt langsam entgegen. Da erkannte er den Rableiter Almpater! Der Pater blieb stehen, bekreuzigte sich, warf sich ausgestreckt nieder und zerfloß in Luft, löste sich auf wie Hauch im Winde. Dem Jäger wurde unheimlich zumute und er machte schnell, daß er nach Hause kam.
Quelle: Die Kartause Allerengelberg im Schnalstal, Rudolf Baur, Bozen 1970, S. 55.