Bis zum Aveläuten
Der Kreuzgang von Karthaus gehört wahrlich zu den eindrucksvollsten seiner Art, Schnalstal (Südtirol)
© Berit Mrugalska, 2. September 2006
Bonifaz Klaus, ein ausnehmend tugendhafter Mönch, hatte eines Nachts ein merkwürdiges Erlebnis. An der Eingangspforte des Klosters bat ihn ein Bauer um geistlichen Beistand für sein Weib, das in den letzten Zügen liege. Dies Begehren verwunderte ihn, besaß die Bevölkerung von Schnals ja ihren eigenen Pfarrherrn; überdies war es bekannt, daß die Mönche nur unter sich die Seelsorge ausübten. Doch der verzweifelte Bittsteller berichtete, daß der Ortspfarrer bedenklich erkrankt sei und deshalb die Letzte Ölung nicht spenden könne. Er werde es dem Kloster zu danken wissen, wenn es ihm die Bitte erfülle. Die Sterbende wünsche nur den Mönch Bonifaz Klaus, der im Rufe der Heiligkeit stehe. Ausnahmsweise gab der Prior dem Ansuchen statt. Als aber der mit "Gesichten" begabte Mönch durch den Fensterspalt hinabsah, um mit dem nächtlichen Bittsteller zu sprechen, erhielt er sofort die innere Gewißheit, daß die verstellte Stimme die seines Erzfeindes, schon vor den Klostertagen her, war.
Er schloß das Fensterchen wieder und versank in Gebet. Das Pochen und Rufen am Klostertor wurde immer flehentlicher und drängender. Doch Bruder Klaus legte sich, dessenungeachtet, zur Ruhe.
Die Klosterpforte vom Kartäuserkloster Allerengelberg in Karthaus, Schnalstal
© Berit Mrugalska, 2. September 2006
Als der Mesner der Kartause am nächsten Morgen zum Aveläuten gehen wollte, bemerkte er zu seinem Schrecken vor der Pforte einen Mann, der starr eine Axt gegen die Türe erhoben hielt. Der Bruder erahnte die Freveltat und erkannte den seltsamen Besucher. Doch, wie merkwürdig! Der Mann mit der Axt zitterte am ganzen Leib, die Haare waren ihm über Nacht ergraut, er konnte nicht sprechen und sich nicht von der Stelle bewegen.
Da läutete der Mesner zum "Engel des Herrn", und der Gebannte erlangte die Bewegungsfreiheit seiner Glieder wieder, verlangte den Priester, den er hatte verderben wollen, und sank abbittend und reuig zu seinen Füßen.
Quelle: Die Kartause Allerengelberg im Schnalstal, Rudolf Baur, Bozen 1970, S. 57.