KRUMM UND LAHM!
Einmal setzte sich eine Salige auf ihrer Flucht vor dem Wilden Mann auf der rettenden Schwelle eines Bauernhauses nieder und blieb hier neun volle Tage und Nächte stumm und unbeweglich sitzen. Der Bauer, ein roher und ungastlicher Mensch, stieß sie beim Ein- und Ausgehen jedesmal grob auf die Seite und schalt sie eine Tagediebin.
Endlich drohte er ihr gar mit Gewalt, sofern sie nicht die Türe seines Hauses meiden wolle, und schlug sogar mit dem Stock nach ihr. Da erhob sich die Salige Jungfrau voller Zorn, streckte dem rohen Menschen ihre schneeweiße Hand entgegen und sagte mit funkelnden Blicken:
"Krumm und lahm
bis auf den neunten Stamm!"
worauf sie verschwand.
Der Bauer lachte ihr höhnisch nach, aber noch in derselben Stunde
erlahmte dem Frevler der Arm, mit dem er den Schlag auf die Salige geführt
hatte, und einige Wochen später stürzte er über dieselbe
Türschwelle und fiel sich die Hüfte aus. Er blieb krumm und
lahm bis an sein Lebensende und auch seine Kinder und Enkel traf dasselbe
Los.
Quelle: Meyer Martinus, Sagen-Kränzlein aus Tirol. 2. Auflage. Innsbruck 1884, S. 241 f.