Die Ritter im Hochnaturnser Schloßkeller
Der alte Bauer vom Käfersberg verstand sich einst gut mit dem weißbärtigen
Bauer auf Schloß Naturns. So saßen sie wieder einmal in Hochnaturns
beisammen und unterhielten sich lebhaft bei einem Becher Wein. Darob war
es Mitternacht und der Weinkrug leer geworden. Da ließ sich der
gastfreundliche Hausherr selber herbei, ohne Licht in seinen ihm wohlbekannten
tiefen Keller zu steigen, um nochmals einen Krug vom besonders Guten zu
holen. Als er das knarrende Kellertor mühsam geöffnet hatte,
schlug ihm nicht wie sonst die kühle Kellerluft entgegen, sondern
der beißende Rauch eines emporlodernden, knisternden Kienspanfeuers,
das ihn zudem blendete. Voll Schrecken bekam der Schloßbauer die
Knieschnaggl, spürte sein Herz in den Schläfen wie einen Klachl
hämmern und ließ den Weinkrug fallen. Mit einem Mal erspähte
er noch drei von der Feuersglut erleuchtete Grafen in gleißendem
Harnisch auf dem Panzenstander sitzen. Die drei sahen ihn groß und
ernst an und murmelten gemeinsam vor sich hin: "Bauer, lauer!"
Er verstand aber: "Bauer, geh' auer!" wurde aus Angst weiß
wie Laaser Marmor, und, wie Espenlaub zitternd, stolperte er eilig die
Treppen hinauf. In der Früh erzählte er sein nächtliches
Erlebnis dem Pfarrer. Seine Lebensfreude aber war dahin. Er hatte weder
Lust zum Essen noch zum Trinken, begann zu kränkeln und bald darauf
holte ihn der Tod.
Quelle: Winkler Robert, Volkssagen aus dem Vinschgau. Bozen 1968. S. 336.