Ritter Kosmas, der Gupfete
Am Eingang von Burg Hochnaturns sehen wir auf einem Fresko einen auf sein Schwert gestützten Ritter mit hohem Spitzhut und mahnend erhobenem Zeigefinger. Ehrbietig neigt sich vor ihm ein Bauer, der mit Weib und Kindern gekommen ist, um die geschuldeten Abgaben auf den Steintisch zu legen. Darüber steht geschrieben: "Ritter Kosmas, der Gupfete." Er stammte aus dem oberen Engadin und war seiner Abkunft nach gar kein Ritter, sondern ein Schafhirt, schön gewachsen und mit einer ungewöhnlichen Körperkraft versehen.
Mit den Jahren trieb ihn aber die Wanderlust aus dem Hochtal, und auf seinem Weg durch den Vinschgau kam er nach Hochnaturns und verdingte sich dort als Knappe. Durch seine Zuverlässigkeit, Kraft und Treue gewann er bald die Zuneigung des Burgherrn, sodaß er dessen vertrauter Gefolgsmann wurde. Als dieser dem Aufruf zu einem Kreuzzug Folge leistete, zog Kosmas mit ihm ins Heilige Land und in den blutigen Kämpfen stellte er seinen Mann wie der tapferste Ritter. Sein Wahlspruch war: "Wenn mein Herr und ich stürmen, so folgt uns; wenn wir fallen, rächt'uns; wenn wir fliehen, schlagt uns tot!"
Nach vielen Monaten des Kampfes und der Strapazen glücklich in die Heimat zurückgekehrt, wurde er zum Lohn für seine Heldentaten zum Ritter geschlagen und der Burgherr wies ihm die beiden Stuben im Torbau zur eigenen Benützung an. Von hier aus spähte Ritter Kosmas scharfen Blicks durchs Tal, daß kein Unberufener und kein feindlicher Heerhaufen der Burg ungestraft zu nahe kommen konnte. Er war bekannt als strenger Wächter und wer sich dagegen verging, den packte Ritter Kosmas unsanft beim Kragen. Weil er überall, wo er ging und stand, einen hohen, spitzen Hut trug, nannte ihn das Volk den "Gupfeten".
Quelle: Winkler Robert, Volkssagen aus dem Vinschgau. Bozen 1968. S. 328 f.