Der schwarze Pudel
Graf Abundus von Tschötsch, eine der denkwürdigsten Persönlichkeiten in der Geschichte von Hochnaturns, ist in einem Fresko in der Burg gleichfalls anschaulich dargestellt. Er war 1538 mit dem Schloß, das ihm die früheren Besitzer, die Brüder Melchior und Christoph von Völs, verkauft hatten, belehnt worden, 1563 verwandelte er das Lehen in freies Eigentum. Abundus war ein baufreudiger Schloßherr, der die im Inneren teilweise ausgebrannte Burg wiederherstellte und dabei zahlreiche Verschönerungen vornahm. Er liebäugelte auch mit der Reformation, die damals über die Schweiz in den Vinschgau kam und auf Hochnaturns Aufnahme fand. Abundus ließ nämlich die Bilder der Reformatoren Luther, Hus, Calvin und Zwingli an die Wandtäfelung des danach benannten Reformatorenzimmers malen. Seine Gattin, die überaus schöne Hippolyta, geborene Gräfin Goldegg, liebte er sehr, kränkte und quälte sie aber ebenso durch unbegründete Eifersucht, und ließ sie viel allein, während er selbst der Jagd und anderen Vergnügungen nachging.
In ihrer Verlassenheit hängte die Gräfin ihr Herz an einen schwarzen Pudel, der ihr steter Begleiter war und sie durch treue Anhänglichkeit in ihrer Einsamkeit tröstete. Eines Tages aber verunglückte Graf Abundus auf der Jagd und seine Knappen brachten ihn tot in die Burg zurück. In dieser wurde es von da ab unheimlich. Jeden Monat erschien bei Vollmond um die Mitternachts stunde ein schwarzer Pudel mit feurigen Augen; kläglich heulend umkreiste er mehrmals den Burghof, um darauf in der Richtung des Burgverlieses zu verschwinden. Der Schloßhund aber gebärdete sich jedesmal beim Erscheinen des Pudels wie rasend und beruhigte sich erst wieder nach seinem Verschwinden.
Der schwarze Pudel war niemand anderer als der verwunschene Graf Abundus, der wegen seiner ketzerischen Anschauungen und seiner Lieblosigkeit gegen seine Frau auf Hochnaturns so lange geistern mußte, bis ein heiligmäßiger Pater den Spuk bannte.
Quelle: Winkler Robert, Volkssagen aus dem Vinschgau. Bozen 1968. S. 329 f.