DIE PEST IN MARTELL
In Pestzeiten starb das Tal Martell fast ganz aus; die Höfe verloren ihren Wert, das obere Hölderlegut haben sie um eine lodene Joppe verkauft.
Der Totenthomas, ein guter Alter, führte auf einem Karren die Toten zusammen und begrub sie im Kirchacker, weil der Friedhof schon voll war. Als er nach Sonneberg fuhr, lachten ihn zwei stolze Dirnen zu Eherhöf aus; er sagte zu ihnen: "Das nächstemal fahr' ich um euch." Als er zurückkehrte, lagen sie tot vor der Haustür, und er lud sie auf den Karren, daß die stolzen Haarzöpfe herabhingen, und begrub sie im Kirchacker.
Die Pest war zuerst oben auf dem Sonneberg ausgebrochen; das ging so: Auf einmal wurde die blühweiße Wäsche draußen von der Pestluft rot, und drinnen fielen die Leute um und starben.
Auf Unterwald lebten zwei Jungfrauen, die sich nicht mehr ins Freie getrauten, zuletzt auch nimmer in die Kuchel. Sie brannten auf dem Stubenboden Tag und Nacht Feuer, daß die ganze Stube voll Rauch war, und blieben von der Pest verschont. Noch im Jahre 18@8 fand man im Unterboden daselbst eine angebrannte Flecke; diese hatten sie zum Andenken im Boden gelassen, bis sie faulte. In der Pestzeit haben die Franziskaner von Bozen ausgeholfen; seitdem haben sie die jährliche Schmalzsammlung im Vinschgau.
Nach der Pest kamen die Holzknecht aus Passeier, die Gamper aus Schnals,
die Braitenberger und Holzer aus Ulten und bevölkerten Martell wieder.
Zum ewigen Gedächtnis aber wurde die "Holepfann" am ersten
Fastensonntag (Kässonntag) eingeführt.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 497