DER SCHAFHIRT
Die Senner hatten mit ihrem Vieh die Alpe verlassen; da zog ein Schafhirt,
der früher mit seiner Herde auf der nächsten Anhöhe gewohnt
hatte, in die verlassene Alpenhütte ein. Als er darin für sich
alles eingerichtet hatte, legte er sich schlafen; sein Hund lag neben
ihm. Bis zwölf Uhr schlief er ruhig; um zwölf Uhr aber wurde
er durch das Winseln seines Hundes und das Blöken der Schafe geweckt.
Zu seinem größten Erstaunen sah er in der Hütte alles
lebendig, als wenn die Senner noch nicht abgezogen wären. Wie erschrak
er aber, als er sah, daß die Hirten keine Köpfe hatten! In
Furcht und Schweiß erwartete er den Morgen. Als endlich die Zeit
des Ave-Maria-Läutens gekommen war, verschwand der Spuk. (Stilfs.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 397, S. 232