ST. MARTIN AUF DEM VORBERG
Nordwärts von Latsch in Vinschgau erhebt sich der Vorberg mit dem Kirchlein St. Martin im Kofel, einem beliebten Wallfahrtsort. Die Kirche lehnt sich kühn an einen abschüssigen Felsen; viele Meter hoch mußte dazu der Grundbau an einer Seite aufgemauert werden, um die zu ihrer Aufstellung nötige Fläche zu gewinnen. Der hl. Martin wird hier als Patron der Herden verehrt, und zahlreiche Motivtafeln erzählen von seiner wunderkräftigen Hilfe in der Not.
Einmal stahlen die Göflaner, lüstern nach einem so einträglichen
Wallfahrtsbilde, die Statue des Heiligen, und ihr Mesner versperrte diese
zu Nacht in seinem Kasten. Kaum war dies geschehen, da erklang ein Glöcklein
in der Luft, und die Leute sahen den hl. Martin auf einem Schimmel durch
die Luft von Göflan hinauf nach dem Vorberg zu seiner Kirche reiten;
neben ihm schritt der Bettler mit dem Glöcklein, und hinter ihm flog
eine weiße Gans. Der ganze Zug wurde von zahlreichen blauen Lichtern
begleitet und erhellt. Als der Mesner von Göflan im Kasten nachschaute,
war kein Bild mehr darin, oben in der Kirche am Kofel aber stand die Statue
wieder an ihrem vorigen Platze.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 442