DIE WÖCHNERIN ZU BURGEIS
Eine Wöchnerin, die auf dem Freithofe [Friedhof] zu Burgeis liegt,
fand selbst nach dem Tode keine Ruhe; denn sie stieg um Mitternacht aus
dem Grabe und hieng Windeln an den Todtenkreuzen auf. Da der Thurmwärter
das Treiben in jeder Nacht sich wiederholen sah, wurde er desselben müde
und nahm sich vor, der Geistin dies zu verleiden. Er ahmte deshalb die
Geberden [Gebärden] der Todten nach und hieng anstatt der Windeln
sein Schnupftuch zum Thurme hinaus. Kaum hatte die Wöchnerin diesen
Spott bemerkt, als sie ergrimmt den Thurm hinanzuklettern begann, um den
Frevel des Thürmers zu rächen. Schon kam sie näher und
näher - noch eine Klafter, und die Geistin hätte das Thurmfenster
erreicht. - Da schlägt der zitternde Wächter in seiner Todesangst
eine Glocke an, und alsogleich fiel das Gerippe klappernd in den Freithof
[Friedhof] hinab und verschwand. Der Ton der geweihten Glocke hatte die
Macht der Geistin gebrochen.
(Bei Mals)
Burgeiser Pfarrkirche St. Maria, Vinschgau (Südtirol)
© Berit
Mrugalska, 2. März 2005
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 491, S. 273