DAS PFEIFER-HUISELE
In Tulfer lebte ein Männlein, das diesen Namen führte. Es bewohnte
ein Häuschen hoch oben auf dem Berg, wo die Wiesen mager sind und
die Bäume elend aussehen. Aber das Huisele brachte sich dennoch gut
durch die Welt. Es hatte nämlich mit dem Schwarzen einen Pakt, wußte
allerlei Künste und konnte sich verwandeln, wie es wollte. Dadurch
verstand es auf anderer Leute Unkosten zu leben und keinen Mangel zu leiden.
Es ging ihm sogar besser als manchem angesehenen Bauern.
Nur einmal wäre es ihm bald schlimm ergangen. Es war ein heißer
Sommertag, und das Huisele fühlte mächtigen Durst. Da verwandelte
sich der Zauberer in eine Fliege, flog in das nächste Bauernhaus
und kroch durch das Schlüsselloch in die Milchkammer, wo eine Reihe
von Milchschüsseln stand. Da sog nun die Fliege Milch nach Verlangen,
bis sie mitten in die Schüssel hineinfiel und den Rand derselben
nicht mehr erreichen konnte. Zum größten Schrecken kam die
Bäurin daher, um dem Gesinde die Nachmittagsmilch zu holen. Als sie
die Fliege in der Milch zappeln sah, griff sie mit dem Zeigefinger hinein
und schleuderte das Tier auf den Boden. Als das Huisele aber wieder auf
festem Grunde stand, fühlte es sich wieder kräftig und konnte
sich davonmachen. Zwischen Oberlana und Tscherms befindet sich die sogenannte
Rafeinwand, von welcher das verderbliche Wasser kommt, das schon wiederholt
verschiedene Bauernanwesen der beiden genannten Ortschaften fast gänzlich
vernichtet hat. Dort hielt sich das Pfeifer-Huisele gern als gefürchteter
Hexenmeister auf. Wenn derselbe den Etschländern ein Donnerwetter
schicken wollte, so führte er das hiezu nötige Wasser mit Katzenpaaren
über die Rafeinwand hinauf, wobei er von den dortigen Bewohnern schon
manchmal gesehen und noch viel öfters gehört worden sein soll,
da er beim Fuhrwerken seine Katzen gewöhnlich mit lautem Pfeifen
anzutreiben pflegte, was diese sehr gut verstanden.
Obwohl nicht mehr so häufig wie früher, soll das Huisele doch auch jetzt noch sein Handwerk in der Gegend treiben, und wenn jemand von der Rafeinwand her laut pfeifen hört, so erzählt er es schnell den Nachbarn, und diese fürchten sich, weil sie wissen, daß bald darauf ein tüchtiges Donnerwetter kommt, denn "zu was sonst", meinen die Leute, "führte denn's Pfeifer-Huisele so viel Wasser über die Wand hinauf, als zum Wettermachen"?
Oft hielt sich das Huisele auch in Pens im Sarntal auf. Dort aber konnte es kein anderes Wasser zum Hexern brauchen, als nur das Wasser aus dem Durnholzer See. Aber der war weit entlegen, und um das Wasser von dem See zu holen, mußte das Huisele über einen Berg gehen, der zwischen Pens und Durnholz seinen Buckel ausstreckt. Der Pfeifer baute sich also einen Wagen, darauf legte er einen Siebkorb, hierzulande Reiter geheißen, und spannte seine beiden schwarzen Katzen davor, die den Wagen zum Durnholzer See zogen. Da füllte er die Reiter mit Wasser, und es rann ihm kein Tropfen durch die Löcher, wäre er auch noch einmal so weit damit gefahren als von Durnholz nach Pens!
Eines Tages war das Huisele schrecklich erzürnt, es mußte ihm etwas über die Leber gekrochen sein. Als er nun mit seinem Katzengespann zum See gekommen war und so talaus schaute, meinte er, es wäre am besten, frisch ganz Sarntal unter Wasser zu setzen, dann könne ihm kein Sarner mehr in die Quere kommen. Also fuhr er rückwärts, und wie er auf dem Berg oben war, sagte er:
"Wasserle, rinn!
Feuerle, brinn!"
und machte unterschiedliche Zeichen in der Luft. Augenblicklich entstand ein schreckbares Unwetter, der Hagel prasselte, als schütte man ihn zuberweis durch die Luft herab, und da und dort fuhr der Blitz in die Häuser. Aber die Glocke von St. Johann im Walde rührte sich zeitig genug und verjagte das böse Wetter, bevor es noch einen Schaden tat. Der Hexenmeister wurde überaus zornig, aber er hatte keine Gewalt mehr und schrie voll Ingrimm ins Tal hinab: "Wenn die Santer-Schelle nicht gewesen wäre, hätte ich ganz Sarntal ausgeschweibt!"
Endlich war das Maß seiner Sünden voll. Als er einmal auf
seiner Bergwiese hoch oben in Tulfer mähte, erfaßte ihn der
Teufel und fuhr mit ihm ins Tal. Man sieht noch heutzutage den ungeheuren
Graben, den der Schwarze aufgerissen hat, als er mit dem Pfeifer-Huisele
in die Höhe fuhr.
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2.
Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 796, S. 461;
Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol,
Brixen 1897, S. 535;