Die Heldentat

Aus Guflina hat man vernommen, daß dort vor alter Zeit ein gefährlicher Lindwurm gehaust habe. Er lebte in einer Höhle am Silumer Berg. Wer ihn einmal sah, vergaß die schreckliche Gestalt mit den riesigen Flügeln auf dem Rücken, den Hörnern am grausigen Kopf und den flackernden bösen Augen nicht mehr. Alle fürchteten dieses Untier, dem niemand beikommen konnte; denn es war übermenschlich stark und zermalmte jeden Widersacher auf furchtbare Art. So konnte es ungehindert über die Viehherden auf den Maiensäßen herfallen, Tiere zum Fräße rauben und Schaden und Unheil anrichten. Wie klagten da die armen Leute über das Unglück in ihrem Lande! War denn niemand da, der sie von diesem schrecklichen Wesen befreite?

Wohl lebte in Guflina ein Mann, man konnte ihn eher einen Riesen nennen, groß, mächtig und von ungeheurer Körperkraft. Es wird von ihm erzählt, daß er große Tannen mir nichts, dir nichts, einfach aus der Erde riß wie Grashalme, so stark war er.

Da die Klagen der Leute immer verzweifelter wurden, ermannte er sich und sagte den geplagten Menschen, er wolle dem Lindwurm den Garaus machen.

Als er sich zum Kampfe richtete, beteten alle Menschen für den glücklichen Ausgang des Streites, der sie ja von dem Bösen erlösen sollte.

Es war furchtbar. Der Lindwurm stürzte sich hochaufgerichtet mit fletschenden Zähnen und den weit auseinandergerissenen, riesigen Krallen wutschnaubend auf den Riesen von Guflina. Das Tier schlug ihm mit seinen Krallen auf die Schulter und wollte ihn erwürgen. Aber der Riese entwand sich diesem harten Griff, packte den Lindwurm am Halse und drückte ihn mit beiden Händen, so wird uns von denjenigen erzählt, die aus weiter Ferne den Kampf mit zitterndem Herzen verfolgten, so stark gegen die Felswand, daß die Knochen des Untieres krachten. Es stieß ein unheimliches Schmerzensgeheul aus und sank dann tot zu Boden.

Aufatmend, den Schweiß von der Stirne wischend, stand der Riese vor dem Untier, während die Bergler jubelnd herbeistürmten, den Riesen beglückwünschten und das Untier, das ihnen soviel Kummer bereitet hatte, mit den Füßen stießen.

Noch lange erzählte man in Guflina diese Heldentat; wo aber der Riese später hingekommen ist, weiß man nun nicht mehr. Seine große Gestalt aber lebt in der Sage und in den Geschichten am Herdfeuer unvergänglich weiter.

Quelle: Dino Larese, Liechtensteiner Sagen, Basel 1970, S. 27