Die Roßeier

Das war noch in den alten Zeiten, da die Welt schon hinterm Gartenhag unbekannt und voller Abenteuer war. Da stieg ein biederer Plankner von seinen Bergen hinunter ins Tal und hatte genug zu staunen über die vielen Merkwürdigkeiten, die er seiner Lebtag noch nie gesehen hatte. So kam er auch an einem Acker vorbei, in dem in der Mittagshitze lauter pralle, runde, gelbe Kürbisse leuchteten. Da stand er offenen Mundes und kopfschüttelnd vor diesen seltsamen Wesen; er berührte mit dem Finger zaghaft die glatte Haut eines Kürbisses und steckte auch seine schlaue Nase etwas über den Zaun, um ein Gerüchlein aufzufangen. Ach, er hätte gerne gewußt, was für eine Bewandtnis es mit diesen Dingen hatte, ob es Früchte oder gar Lebewesen unbekannter Art waren.

Der Besitzer des Ackers, ein witziges Bäuerlein, hatte dem seltsamen Gehaben des Plankners zuerst staunend und dann, als er merkte, wessen Kind es war, verschmitzt lächelnd eine Weile zugeschaut. Dann kam er wie von ungefähr daher, so daß ihn der Plankner plötzlich sehen mußte.

"Ihr, guter Mann", stotterte dieser aufgeregt, "könnt Ihr mir sagen, was das für Dinge sind ?" Der Bauer kratzte sich hinter dem Ohr und sagte: " O ja, das sind hiesige Roßeier."

Eine Weile blieb dem Plankner der Mund offen, dann schnappte er einige Male wie nach Luft, und als er die Wundermär einigermaßen begriffen hatte, erwachte der schlaue Bergbauer in ihm, und er fragte so nebenbei, ob man so ein Roßei haben könne, und wie teuer es zu stehen komme. Er überlegte sich dabei, daß er wohl nie so billig zu einem eigenen Rößlein kommen könnte.

Der Bauer sagte, weil er es sei und er ihm auch zutraue, daß er es wohl ausbrüten könne - dazu nickte der Plankner, oh, so gut wie er konnte kein Plankner brüten -, wolle er ihm ein Roßei schenken. Der Plankner wußte nicht, wie er danken sollte, der Herrgott meinte es doch gut mit ihm. Er nahm das Roßei unter den Arm, und statt ins Städtchen hinunterzugehen, um sein Geschäft im Amtshaus zu erledigen, stieg er kurzerhand und strahlend vor Glück die steilen Hänge in seine Gemarkung hinauf. Vor Freude machte er immer größere Schritte und kam dabei in Atemnot. Aber in der Freude schnauft der Mensch gerne etwas mehr von Gottes guter Bergluft. Ach, er konnte kaum mehr warten, auf das Ei zu sitzen und es auszubrüten. Wie mochte das Rößlein wohl sein? Braun, schwarz oder gar ein Schimmel? Und wie mußten erst seine Leute daheim staunen!

Ach, da hielt er es nicht mehr aus, er wollte nicht nur mit einem Ei, sondern schon mit einem Rößlein in sein Dorf zurückkehren, und schnell entschlossen setzte er sich auf den Kürbis und wartete der Dinge, die da kommen mußten. Aber das Unglück wollte es, daß er etwas schief auf die runde Frucht zu sitzen kam. Der Kürbis nahm die Gelegenheit wahr, einem Mißgeschick auszuweichen, und rollte in saftigen Sprüngen den Hang hinunter. Der Plankner biß sich vor Schreck auf die Zunge und starrte seinem davoneilenden Glück nach. Der Kürbis nahm den nächsten Weg und übersprang Steine und kleinere Gebüsche.

Da saß grad ein Häslein hinter einem solchen Gebüsch. Als es das gelbe Ungetüm kommen sah, schoß es hervor und sprang aufgeschreckt dem nächsten Walde zu. Der Plankner, der dies alles verfolgt hatte, glaubte nun, als er den Hasen sah, es sei ein junges, aus dem Roßei gesprungenes Rößlein, schlug die Arme über dem Kopf zusammen und schrie, was er aus seiner Kehle zu bringen vermochte: "Itscha, halt, halt, ich bin der Ätti!"

Aber der Hase fragte nicht nach seinem Vater, sondern verschwand im Walde, und der Plankner mochte rufen, was er wollte, das Rößlein kam nicht mehr zum Vorschein. So kehrte er gedrückt in sein Planken zurück, wo er die Mär erzählte. Da staunten alle und bewunderten ihn sehr; das war ihm ein kleiner Trost. Ach, wenn es je wieder einmal vorkommen sollte, daß er ins Tal hinunter mußte, dann wollte er zu dem Roßei größere Sorge tragen und es erst zu Hause in der warmen Kammer ausbrüten. So geht's eben mit der Eile.

Quelle: Dino Larese, Liechtensteiner Sagen, Basel 1970, S. 47