DAS ENDE DER HEXENPROZESSE
Als die Brenner eines Tages in das Haus eines gewissen Schädler am
Triesnerberge traten, um ihn als Hexenmeister fortzuführen, gab er
seinem Söhnlein, das noch klein war, ein Stückchen Brot. Er
wollte aber dasselbe nicht annehmen; da wandte der Vater sich mit doppelter
Zärtlichkeit an ihn, gab ihm seinen väterlichen Segen und reichte
ihm das Brot abermals, also sprechend: "Die Lebensjahre, welche man
mir durch eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit, abkürzet,
möge dir der Allmächtige durch den Genuss dieses Himmelsbrotes
zusetzen". Und siehe, das Knäblein nahm das Brot aus des Vaters
Hand, und die Worte wurden an ihm wahr. Denn sein Alter kam auf hundertein
Jahre.
In seinem Greisenalter erzählte er oft, wie die Hexenprozesse ein
Ende genommen. Es geschah so: Die Brenner, welche so viele Menschen dem
Scheiterhaufen zugeführt, hatten den Pfarrer von Triesen zu ihrem
Opfer auserkoren. Sie traten in sein Zimmer, und er, die Absicht ihrer
Ankunft erratend, fasste sich schnell, holte Wein aus dem Keller und forderte
sie zum Trinken auf. In den Wein aber hatte er ein schnellbetäubendes
und schlaferregendes Gewürz gemischt. Die Brenner wurden von dem
Genuss des Weines bald trunken und sanken in tiefen Schlaf. Der Geistliche,
diesen Umstand benutzend, entriss ihnen das Verzeichnis der Opfer, das
sie bei sich führten. Er war der erste auf der Liste. Alsbald liess
er die Männer kommen, die mit ihm auf dem Verzeichnis standen und
zum Feuertod bestimmt waren, machte sie mit der Gefahr bekannt und forderte
sie auf, alles an Ehre und Leben zu wagen.
Sie nahmen die Brenner fest, überlieferten sie der Obrigkeit, und
ihre Untaten kamen zutage. Sie erlitten die gerechte Strafe, und viele
Familien, die um ihre Ehre und ihr Eigentum gebangt hatten, erhielten
beides wieder.
Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein,
1966/1980, Nr. 55