Emmerberg
Dort, wo man heute die Ruine Emmerberg erblickt, stand einst eine Kapelle. Sie war der Obhut eines alten Mannes anvertraut, der nebenan eine Hütte besaß und mit seinem Sohne Ludolf ein Gärtchen um das kleine Gotteshaus angelegt hatte. Täglich stieg der Knabe mit einem Eimer in die Schlucht hinab, um für seine Blumen Wasser aus dem klaren Bächlein zu holen.
Da begegnete er eines Tages einem Jäger, der ihn um einen Labetrunk bat. Freundlich gab ihm Ludolf zu trinken und erzählte ihm während der Rast von der lieben Kapelle und von seinem guten Vater. Wohlgefällig hörte der Jäger dem Knaben zu und forderte ihn schließlich auf, ihn zur Kapelle hinaufzuführen. Dort angelangt, machte er dem alten Vater den Vorschlag: „Wenn es Euch recht ist, nehme ich Euren Sohn mit an der Herzogshof in Wien und will dort für ihn sorgen.“ Erstaunt fragte der Alte: „Wer seid Ihr?“ Doch kaum hatte er die Frage gestellt, da erscholl Hörnerklang von allen Seiten; Ritter und Knechte strömten herbei und neigten sich ehrfürchtig vor dem fremden Jäger. Der wandte sich gütig zu dem alten Vater und sprach: „Ich bin Herzog Leopold. Was gedenkt Ihr nun zu tun?“ „Herr, nehmt den Knaben hin,“ sagte dankerfüllt der Alte, „ich will seinem Glück nicht im Wege stehen.“ Hocherfreut zog Ludolf mit seinem Gebieter nach Wien.
Aus dem Knaben wurde nachmals ein tapferer Rittersmann, der auf dem Felsen an Stelle der heimatlichen Hütte eine stattliche Burg erbaute. Zur Erinnerung daran, daß er als armer Knabe täglich den „Emmer“ zur Höhle hinangetragen, nannte er seinen Rittersitz – Emmerberg.
Hans Fraungruber
Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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