8. [ Der Niglo]
Im südwestlichen Theile Niederösterreichs harren die Kinder betend des h. "Niglo". Sie horchen, und auf den Klang des Glöckleins fangen die bebenden Kinder an zu singen:
Hearei, hearei, Hear Niglo,
goar gua'de Kinder sain jo do,
de beden gearn, de lernen gearn,
de biden n halich'n Niglo,
er soll earna was beschearn.
Die Thür geht auf und der h. Niglo mit Stab und hoher Bischofsmütze tritt herein und spricht:
G'lobt sei Jesas Christas,
'n Himlssögn bringt mit hear do
da Godasståb und Ring dös halich'n Niglo.
Darauf antworten die Kinder mit zitternder Stimme:
Miar griaßen dih o halichr Mån
und beden alle Dåg dih an
in ålle Ewikeit. Amend.
Der Nikolaus geht nun bis zum Tische, läßt jedes Kind beten und sich ihre Gebet-, Schul- und Schreibbücher zeigen. Wehe dem, welches seine Bücher nicht in Ordnung hat, oder das beim beten stottert. Der schwarze Ruprecht, mit einem Pelze angethan, steht mit glühenden Augen und langer rother Zunge und mit einer großen Kette vor der Thür, die Befehle seines Herrn zu vollziehen. Haben nun die Kinder gebetet und gesungen, so muß jedes einzelne Kind - und zwar das kleinste zuerst - vor den Nikolaus hintreten, niederknien, den Ring, welchen er am Finger trägt, küssen und sagen:
Mit'n Ma'l kiß ih
’n halich'n Stai,
mit'n Ma'l griaß ih
‘n Hearn Niglo mai,
mit d' Hend bid ih
um a bisl woas, ih wiar oardla sain.
Der Nikolaus spricht darauf:
Wiarsd' oardla sain?
Schdehl daine Schu'ch in Hain,
siach daß ka Schnee n'eifält,
und siach n'aus, waans zeh'n hoast zölt.
Dann gibt Nikolaus den Kindern eine Lehre, stellt ihnen eine in Kalk getauchte Ruthe auf den Tisch und spricht:
Wån oana ned braf und oardla is,
d'Ruat'n sih n Bugl n'eifrißt.
Dann gibt er den Kindern den Segen, bespritzt sie mit Weihwasser, während die Kinder das Kreuz machen.
Beim Fortgehen spricht der Nikolaus:
God's Sög'n blaib bei eng,
n'irds Brisül von eng zwäng 1),
G'lobt sei Jesas Christas.
Die Kinder und alle Anwesenden sagen darauf:
in alle Ewikeit. Amend.
Der heilige Nikolaus entfernt sich eben so leise, wie er gekommen ist und schließt hinter sich die Thür zu. Die Gesichter der Kinder leuchten vor Freude, da die Gefahr vorüber ist. Schnell werden die Schuhe von den Füßen gezogen, abgebürstet und mit den Schuhbändern zusammengebunden. Alsdann schleicht der muthigste Knabe zur Hausthür und horcht, ob er das Glöcklein noch höre, stellt dann behutsam seine Schuhe hinter ein Gesträuch im Garten, wo er den Schnee fleißig weggekehrt hat. Diesem folgen nun seine übrigen Geschwister und stellen ihre Schuhe unter dasselbe Gesträuch.
Jetzt wird gewartet, bis es zehn Uhr schlägt. Inzwischen werden die Geschichten von dem schwarzen Ruprecht von den Eltern oder Erwachsenen einige Male erzählt.
Kaum daß der Hammer den zehnten Schlag macht, so lugt schon der furchtloseste Knabe zum Schlüsselloch hinaus, öffnet leise die Thür und schleicht auf den Zehen zu seinen Schuhen, die er mit verschiedenen Sachen, gewöhnlich mit Äpfel, Nüssen, und a. m. gefüllt findet. Schnell langt er darnach, ergreift sie und eilt mit schnellen Schritten der Thür zu, wo schon seine Geschwister freudig ihn erwarten. Jetzt eilt groß und klein an den bezeichneten Platz und nimmt die gefüllten Schuhe. (Aus Mank.)
1) Jedes Unglück von euch scheuche.
Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 286ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Mai 2005.
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