64. [Der Fonich]
Über die S. 289 erwähnte Pflanze kann ich aus Nied. Österreich noch folgende Mittheilungen machen.
Eine Waldpflanze von 1-2 Fuß Höhe wird von dem Volke Fonich oder Fanicher genannt. Diese Pflanze hat einen dreieckigen Stengel, der bis zur Mitte hinauf blätterlos ist; die Blätter selbst sind gefiedert Es gibt einen weißen und einen schwarzen Fonich; der weiße blüht den ganzen Sommer hindurch; die Blüten sitzen am obersten Theile der Pflanze, sind weiß und bilden eine Dolde; der schwarze Fonich ist etwas höher als der Weiße, und der Stengel desselben ist am unteren Ende schwarz. Man sieht ihn nie blühen, weil er der Sage nach nur einmal des Jahres eine Stunde lang blüht. Die Angabe über die Blütezeit ist nicht übereinstimmend; nach den einen blüht er in der Thomasnacht um zwölf Uhr und zwar gelb nach andern in der Nacht vor dem Pfingstsonntage und zwar während des brennens der Johannisfeuer, welche an diesem Abend angezündet werden. Die Haupteigenschaft des Fonichs liegt nach der einen Erzählung in der Blüte, nach der andern im Samen, welcher noch in derselben Mitternachtsstunde reif wird und abfällt. Die rothe Blüte macht den Besitzer derselben unsichtbar; von mehr Wert ist der Same des gelb blühenden, weil derjenige, welcher ein solches Samenkorn bei sich trägt, alle Schätze der Erde sieht. In Sierndorf (bei Stockerau) erzählt man folgendes. Ein Bauernbursche Namens Hans arbeitete in einem Dorfe bei einem Schneider und muste jeden Abend durch einen Wald nach Hause gehen, denn der Schneider war nicht in demselben Dorfe, in welchem Hans mit seiner Mutter und seinen Schwestern wohnte. Am Abend vor dem Pfingstsonntage muste er einige Stunden länger bei seinem Meister bleiben, um noch einige Sonntagsröcke fertig zu machen. Als er sich endlich auf den Weg nach Hause machte, gieng es schon stark auf zwölf Uhr; deshalb eilte er mehr als sonst. Kaum war Hans etwa zwanzig Schritte waldeinwärts gegangen, so schlug es auf der Turmuhr zwölf; in diesem Augenblicke begann der rothe „Fanicher“ zu blühen, und zwar so dicht und mit einem so hell leuchtenden roth, daß Hans meinte der Boden glühe unter seinen Füßen, denn er wüste nichts vom rothen Fanicher. Aus Furcht sich zu verbrennen lief er so schnell er konnte durch den Wald, wobei es geschah, daß er eine solche Blüte abstreifte, so daß sie in den Stiefel des linken Fußes fiel, ohne daß es Hans bemerkte. Als er nach Hause kam, fand er seine Mutter und seine beiden Schwestern noch wachend in der Stube sitzen. Er dachte sogleich, daß sie seinetwegen so lange aufgeblieben seien; als er aber seiner Mutter entgegengieng, um ihr den Grund seines ausbleibens zu sagen, las diese in ihrem Gebetbuche fort, und ließ sich nicht im geringsten irre machen, denn sie sah und hörte Hansen nicht weil er vermöge der Fanicherblüte unsichtbar war; ebenso gieng es seinen Schwestern, welche zu einander sagten, sie könnten gar nicht begreifen, wo ihr Bruder so lange bleibe. Auch Hans konnte ihr Benehmen nicht begreifen, denn er wuste nicht daß er unsichtbar war. Sonderbarer Weise fühlte er aber keinen Schlaf, so daß er einen ganzen Monat lang seine Stiefel nicht auszog. Indessen grämten sich seine Mutter und seine Schwestern, denn niemand wuste ihnen Auskunft über Hans zu geben, und so sehr ihnen dieser täglich versicherte, daß er bei ihnen sei, sie möchten nur die Hand nach ihm ausstrecken, sahen und hörten sie ihn doch nicht. Endlich, nach einem Monate, zog er seine Stiefel aus, weil sie zerrissen waren; hierbei siel die Blüte auf den Boden. Unter furchtbarem Gekrach stieg der Teufel aus der Erde, nahm dieselbe und verschwand wieder. Es war dieß gerade an einem Sonntage, wo alles in der Kirche war. Als Hansens Mutter und Schwestern nach Hause kamen, sahen sie ihn beim Tische sitzen. Kaum trauten sie ihren Augen, und als sie sich überzeugten, daß er es wirklich war, so freuten sie sich unendlich. Durch den Verlust der Fanicherblüte war er nämlich sichtbar geworden und gehörte nun wieder den seinigen.1)
In Goberling (Eisenburger Com. in Ungarn) wird folgendes erzählt. Den Samen des gelbblühenden Fonichs kann man nur in der Thomasnacht bekommen, in welcher er blüht und reift; und zwar müßen immer drei oder fünf mit einem Kirchenkelche zu einer solchen Pflanze gehen, mit geweihter Kreide einen Kreis um dieselbe ziehen, sich hineinstellen und wenn der Fonichsame herunterfällt, ihn mit dem Kelche auffangen, sonst bekommt ihn der Teufel.
Einmal verbanden sich zwei Bauern mit dem Küster eines Dorfes, um einen solchen Fonichsamen zu bekommen. Die Pflanze ward schon am vorhergehenden Tage aufgesucht. Am entscheidenden Abend nahm der Küster den Kelch heimlich aus der Kirche, und die drei Abenteurer trabten guter Dinge in die Nacht hinaus. Die Pflanze war bald gefunden, sie machten einen Kreis um dieselbe, stellten sich hinein und gelobten einander feierlich, daß während der gefahrvollen Stunde keiner den Kreis verlassen, noch ein Wort sprechen wolle, denn sie wüsten recht gut, daß der Fehler eines einzigen allen dreien den Tod bringen würde. Die zwölfte Stunde kam und der Fonich fieng an goldgelb zu blühen; als aber die Blüten abfielen und der Same zu reifen begann, donnerte und krachte es in der Erde und eine Schar von Teufeln umlagerte den Kreis. Da fieng einer der beiden Bauern an sich zu fürchten; die Teufel bemerkten das und weil ein Bauer einen rothen Rock an hatte, schrieen die Teufel: „Den mit dem rothen Rock wollen wir haben;“ aber das half nichts, die drei rührten sich nicht. Endlich öffneten sich die Samenhülsen und die Körner rollten in den untergehaltenen Kelch; in diesem Augenblicke donnerte es in der Erde und die Teufel verschwanden, worauf die drei Männer nach Hause giengen. Unterwegs konnte der Küster, welcher den Kelch trug, seinen zwei Freunden nicht genug erzählen von den vielen Schätzen, welche er sehe. Hierauf nahmen die beiden andern den Kelch in die Hand und sahen dasselbe. Als ihn der Rothrock in die Hand bekam, begegnete ihnen der höckerige Schullehrer des Dorfes, welcher um die Sache wuste, weil er ihnen zum Kelche verholfen, und sprach: „Habt ihr ihn schon, laßt ihn einmal sehen.“ Die drei sagten ihm, er solle warten bis sie zu Hause wären. Der Schullehrer aber sagte: „Wenn ihr ihn jetzt nicht sehen laßt, so gehe ich zum Pfarrer.“ Erschrocken hob der Rothrock den Deckel auf; statt aber hineinzuschauen, blies der Höckrige, welcher der Böse war, in den Kelch, daß alle Körner herausflogen. Der Böse verschwand, und jetzt erst sahen die betrogenen, daß es nicht der Schullehrer, sondern der Teufel gewesen war, welcher nur die Gestalt des Schullehrers angenommen hatte, um sie um ihren kostbaren Schatz zu bringen.
1) Auch Farnsamen macht unsichtbar, s. Gr. Myth. 1160, wo die westfäl. Sage eine merkwürdige Übereinstimmung mit der unsrigen hat. Vergl. Panzer 2, 73 und 272.
Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 264ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, April 2005.