6. [Bäume als Zeugen der Unschuld]
"Es ist tief in der menschlichen Natur gegründet, sagt Grimm
(Myth. 613), daß der unglückselige sein Leid den Felsen, Bäumen
und Wäldern klage." Auch in folgenden Sagen findet dieß
seine Bestätigung.
In dem alten Schlosse Buchlau ist eine Linde, von der folgendes erzählt
wird. Der Besitzer des Schlosses ward einst meuchlings angefallen, und
der Knappe war dieser That verdächtig befunden. Der Knappe behauptete
aber seine Unschuld und machte den Vorschlag, er wolle eine junge Linde
mit der Krone in den Boden pflanzen. Würden nun die Wurzeln Blätter
treiben, so sollte dieß ein Zeichen seiner Unschuld sein. Und so
geschah es; im folgenden Frühjahre wuchs die Linde und die Wurzeln
trieben Blätter. Darauf ward der Knappe freigelassen.
Eine andere Sage erzählt, der Schlossherr habe einen Bauern des Jagdfrevels
beschuldigt. Als dieser es läugnete, gab ihm der Graf eine junge
Linde mit den Worten: Setze dieses Bäumchen verkehrt in die Erde
und pflege es sorgsam. Wenn nach zwei Jahren die Wurzeln desselben Blätter
treiben, so kannst du frei von hier fortziehen; wenn nicht, so bist du
dem Tode verfallen. Der Gefangene that wie ihm geheißen und als
der zweite Frühling angebrochen war, hatten die Zweige Wurze gefasst
und die Wurzeln Blätter getrieben.
Nach einer andern Sage (aus Wischau) war ein Mönch zum Tode verurtheilt
von 12 andern Mönchen. Er sollte lebendig begraben werden, und als
er in sein Grab steigen sollte, bat er um die Erlaubnis einen Lindenbaum
pflanzen zu dürfen, und diese Bitte ward ihm auch gewährt. Als
er den Baum in die Erde gepflanzt hatte, sagte er: So gewis die Wurzeln
dieses Baumes aufwärts, die Krone aber abwärts wachsen wird,
so gewis bin ich unschuldig. Es half nichts, sie warfen ihn in das Grab,
mauerten es zu und er muste eines jämmerlichen Todes sterben.
Als der Baum größer wurde, sah man ihn nach der Vorhersagung
des Mönches wachsen. Die Richter sahen jetzt ein, daß er schuldlos
gestorben war. Die Strafe blieb nicht aus; es kamen Feinde, welche das
Land plünderten und das Kloster zerstörten. Nur diese uralte
Linde bezeichnet den Ort, wo die Mönche hausten.
Ähnliches erzählt man in Pilsner Kreise von einem Apfelbaume,
der bei der Ruine Krasykov steht. Zwei Freunde wurden im Walde von bewaffneten
Männern umringt. Der Freund des Jünglings zog sein großes
Messer, und wollte einen der Räuber erstechen, allein von mehreren
Hieben tödlich verwundet sank er zu Boden. In demselben Augenblicke
schlug der Blitz in eine neben dem Mordplatz stehende alte Eiche, und
zersplitterte dieselbe in viele tausend Stücke. Die Räuber dadurch
erschreckt, flohen nach allen Seiten. Der andere Jüngling kniete
neben seines Freundes Leiche nieder, dankte Gott für seine Rettung,
und bat für die Seele des dahingeschiedenen. Er kniete aber nicht
lange da, kamen Männer durch den Wald. Als sie den Leichnam sahen,
und den daneben knieenden Jüngling, führten sie diesen, ihn
für den Mörder haltend, mit sich vor das Gericht. Obwohl der
Jüngling dieses . schweren Verbrechens nicht überwiesen werden
konnte, verurtheilten ihn die Richter doch zum Tode.
Der Jüngling aber im Bewustsein seiner Unschuld hörte ruhig
und gelassen den Richterspruch, und trat dann mit Zuversicht seinen letzten
Gang an. Auf dem Wege zur Richtstätte ergriff er einen Stock, stieß
ihn in die Erde und rief: So wahr dieser Stock Wurzel fassen, Äste
treiben, blühen und Früchte tragen wird, so wahr bin ich unschuldig.
Und die Äste und Zweige, die aus ihm sprossen werden, sollen sich
als Schmach und Trauerzeichen für die ungerechten Richter zur Erde
neigen. Bald nach seiner Hinrichtung bekam der Stock Wurzeln, wuchs zu
einem Baume empor, blühte, und trug Früchte. Die Zweige und
Äste neigten zur Erde, und so wurde der Ausspruch des unschuldig
Hingerichteten erfüllt.
Man sieht noch heutzutage diesen Apfelbaum neben der Burgruinestehen.
In der Legende vom Christof sagt Jesus, nachdem er durch das Wasser getragen
war, zum Christträger: Sum Christus, rex tuus. Ut me verum dicere
comprobes, cum pertransieris, baculum tuum juxta domuncolam tuam in terram
fige, et mane ipsum floruisse et fructificasse videbis. (Jacobus de Viragine,
legenda aurea 95.) Auch Christof bedient sich später dieses Wunderzeichens:
Christoferus virgam suam in terram fixit et, ut propter conversionem
populi fronderet, dominum exoravit.
Die Legende von dürren Stäben, die wieder Blüten treiben,
ist weit verbreitet und erinnert an Aarons Stab. Vergl. auch Grimm deut.
Sag. Nr. 180. 355, 454. Gr. Märchen, Legende 6. Schott, walach. Märch.
Nr. 15. Müllenhoff holst. Sag. Nr. 188. Liebrecht, otia imperialia
des Gervasius S. 22. Menzels Symbolik 2, 294.
In Otto von Passau "die 24 Alten" (Straßburg 1500) kommt
folgende Stelle vor:
(Als man nicht wuste, wem man Maria vermählen sollte.) "Do kam
czu Hand die gütlich stymme und sprach: alle die manne die do von
künigklichem geschlechte David seind, und niteliche frauwen handt,
die sollent morn dürre ruten in den tempel bringen, und welches mannes
rut grünen würt, und der heylig geyst in einer tuben weiß
dar aufs ruwen würt als vormals geweissaget ist vom Jsaia dem propheten
[sic], dem soll Maria gemahelt werden. Do viel dz götlich loß
uff den heiligen Joseph."
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 117ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.