14. [Die Mutter und ihr Kind]

Ein Sagenzug, nämlich der von einer Mutter, die im Berge ihr Kind zurückgelassen, welches ein Jahr darauf zu derselben heiligen Zeit wieder zum Vorschein kommt, scheint seinen Hauptsitz in Mähren und Böhmen zu haben, obgleich wir ihn auch im österr. Alpenlande und im Fichtelgebirge finden(s. Schönwerth "aus der Oberpfalz" 2, 241).

Die folgenden drei Sagen sind von 3 verschiedenen Personen der Umgegend erzählt.


a.

Unweit der mährischen Stadt Nikolsburg und am Abhange des Polau-Gebirges liegt das Dorf Klentnitz. Die Verzweigungen dieses Gebirgszuges sind mit einem Walde bedeckt. Mitten in diesem Walde auf einem schönen Hügel stund einst eine kleine Jägerhütte, von einer gottesfürchtigen Familie bewohnt. Sie hatten ein einziges Kind, das sie ungemein liebten. An einem Morgen begab sich der Jägersmann in den Wald, um ein Wild zu erlegen, und verirrte sich zufällig, indem er auf einen ihm unbekannten Weg kam. Sein Weib war sehr besorgt um das Leben ihres Mannes. Da es bereits der dritte Tag war, so machte sie sich auf den Weg, und nahm ihr Kind mit, um ihn aufzusuchen. Sie gieng zu allen jenen Stellen, die ihr Mann am meisten besuchte. Jammernd durchkreuzte sie nun den Wald und kam auf einmal zu einem Felsen, dessen Öffnung mit Gold- und Silberstücken gefüllt war. Sogleich legte sie ihr Kind bei Seite und fieng an ihre Taschen mit diesem willkommenen Funde zu füllen. Sie war so in edanken, daß sie hr Kind vergaß und mit ihren Schätzen nach Hause eilte. Mitten auf dem Wege erinnerte sie sich ihres verlorenen Kindes; sogleich eilte sie zurück, allein ihr Kind war verschwunden. Unter lauter weinen kehrte sie in ihre Hütte zurück, traf dort ihren Gatten und erzählte ihm das Unglück. Was halfen ihr nun die gefundenen Schätze? Nach kurzer Zeit gieng sie an einem Abende im Walde spazieren und kam zu jenem Felsen. Hier weinte und jammerte sie, da erschien ihr ein weißer Geist, und befahl ihr, denselben Tag ihr Kind abzuholen, an welchem sie es verloren habe. Freudig kehrte sie um, und brachte diese Kunde ihrem Manne. Der ersehnte Tag erschien und sie begab sich in den Wald; dort fand sie den Felsen offen, und ihr Kind saß lustig am Rasen. Voll Freude sprang sie ihm nach und wollte es umarmen. Da erschien ein schwarzer Geist, der zielte als wollte er sie niederschießen. Sie erhob ihre Hände gegen Himmel; es entstand ein heftiges Gewitter, und der Blitz zerschmetterte den bösen Geist. Ihr Kind aber hatte sie wieder.

b.

Auf der Straße von Nikolsburg nach Klentnitz steht ein Fels, der unter dem Namen Bottichstein (auch Boding-stein und Budingstein) bekannt ist.

Die Sage erzählt von demselben folgendes: In Klenlnitz lebte ein armer Landmann, der sich und sein Weib nur kärglich durch Taglohn ernährte, und oft nicht wuste, woher er einen Groschen nehmen sollte, um sich, sein Weib und das einige Monate alte Kind zu ernähren. Am heiligen Abend vor dem Weihnachtsfeste gieng er in gröster Verzweiflung in den nahen Wald, um zu sehen, ob er nicht ein Wild schießen könne, um für den künftigen Tag doch etwas zu haben. Aber trotz aller Aufmerksamkeit konnte er nichts erblicken. Unzufrieden wollte er schon den Rückweg einschlagen, als sich plötzlich, er wüste nicht woher, ein Mann in schwarzem Gewande zu ihm gesellte, und ihm befahl nach einem Hasen zu zielen, den er ihm in der Ferne zeigte. Er drückte los und das Thier fiel. Doch ein geheimes Grauen überfiel den Bauer, als der schwarze Mann ihm sagte, erwerde ihn mit allem versorgen, was er bedürfe, nur solle er nicht beten und von dem geschehenen seinem Weibe nichts sagen, einst werde er ihm schon eröffnen, welchen Lohn er dafür begehre.

Der Landmann gieng nach Hause, und brachte seinem erfreuten Weibe den Hasen, aber beide ahnten nicht, um welchen Preis er erlangt sei.

Des andern Tages gieng die Frau mit ihrem Kinde von Klentnitz gegen Nikolsburg, und als sie in die Nähe des Bottichsteins kam, ertönte das Glöcklein von Nikolsburg zur Wandlung, und siehe da, es öffnete sich der Bottichstein und es schimmerten Fässer mit Gold und Silber gefüllt. In ihrem freudigen Erstaunen glaubte die Frau hierin einen Fingerzeig Gottes zu erkennen, sich von der drückenden Armut zu befreien, eilte rasch hinzu, setzte ihr Kind auf eines der Fässer, füllte ihre Schürze mit Silber und eilte angstvoll aus dem Felsen hinaus. Erst jetzt gedachte sie ihres Kindes, wollte zurückkehren, doch mit Entsetzen bemerkte sie, daß der Fels sich geschlossen hatte. Drinnen befand sich das Kind der nun reichen aber dennoch unglücklichen Mutter. Wankendes Schrittes gieng sie mit ihrem Gelde beladen nach Hause, allein Ruhe und Friede war aus ihrem Herzen gewichen, selbst bei ihrem Manne fand sie keinen Trost, sondern sie muste von ihm die bittersten Vorwürfe hören, obgleich er auch oft an den schwarzen ihm unbekannten Mann dachte; im geheimen hielt er ihn für die Ursache des Unglückes, das ihn so hart traf.


Ein Jahr vergieng, und es kehrte der heilige Weihnachtsabend wieder. Die unglückliche Mutter fasste den Entschluß noch einmal die Stätte zu besuchen, wo sie ihr Kind verloren hatte. Ihr Mann begleitete sie, denn sie fürchtete sich den Weg allein zu machen. Wieder ertönte das Glöcklein von Nikolsburg zur heiligen Wandlung, und Vater und Mutter sanken dießmal auf die Kniee nieder. Als sie aufblickten, sahen sie, wie der Bottichstein sich wieder öffnete und ihr Kind ihnen die Händchen entgegenstreckte. Doch auch der schwarze Mann stund nicht ferne, legte sein Geschoß auf sie an, allein ein Blitz aus heiterm Himmel zerschmetterte ihn, Die Eltern schlössen nun ihr lange beweintes Kind wieder in die Arme, und dankten Gott für seine Rettung.
Das Kind erzählte seinen Eltern, ein Engel habe ihm täglich Speise und Trank gebracht und es getröstet.

c.

Zu Klentnitz in Mähren lebte eine Witwe Namens Marthe mit ihrem dreijährigen Söhnchen in stiller Zurückgezogenheit. Nur selten verließ sie ihre ärmliche Wohnung; doch versäumte sie in keinem Jahre am Ostersonntage nach dem Städtchen Nikolsburg zu gehen, um dort dem Gottesdienste beizuwohnen. Wiederum war der Ostertag angebrochen, und Marthe verließ mit ihrem Söhnlein nach alter Gewohnheit ihr Häuschen. Schon hatte sie den Friedhof des Dorfes hinter sich, als das Geläute der Osterglocken von Nikolsburg herüber tönte. Marthe verdoppelte ihre Schritte und bald hatte sie jenen Felsblock erreicht, der jetzt der Bottichstein genannt wird. Wer schildert aber ihr Erstaunen als sie diesen von oben bis unten gespalten fand. Schon früher hatte Marthe gehört, daß dieser Fels die sonderbare Eigenschaft besitze, daß er jedesmal, so oft die Glocken zu Nikolsburg zum Hochamte geläutet weiden, sich öffne und demjenigen, der sich zu jener Zeit ihm nähere so lange die Glocken tönen, seine Schätze darbiete, daß er aber mit dem letzten Glockenschalle sich wieder verschließe. Sie hatte jedoch nicht daran geglaubt, daher wunderte sie sich um so mehr, da sie den Fels wirklich geöffnet fand. Voll Neugierde näherte sie sich der Felsspalte, schaute in das Innere der Höhle, und erblickte einen Bottich von ungeheuerem Umfange, voll von blinkenden Gold- und Silbermünzen.

Marthe wuste nicht, ob sie träume oder ob es Wirklichkeit sei, was sie vor sich erblickte. Endlich faßte sie Muth und trat in die Höhle. Eine tiefe Stille herrschte in derselben, nur die Osterglocken von Nikolsburg konnte man darinnen vernehmen. Da dachte Marthe, es könne wohl ein Wink des Himmels sein, welcher sich ihrer Noch erbarme und den Fels geöffnet habe, um ihr zu helfen. Nach längerem zaudern setzte sie das Kind beim Bottich auf den Boden nieder, und füllte ihre Schürze mit Gold- und Silbermünzen. So beladen eilte sie aus der Höhle und schüttete ihren Schatz auf die Erde. Noch einmal kehrte sie freudig in die Höhle zurück, um ihre Schürze zu füllen, und noch ein drittes Mal. Als sie aber zum vierten Male in die Höhle eilen wollte, verstummten plötzlich die Glocken und der Fels schloß sich unter furchtbarem Gekrache. Voll Angst und Schrecken sank sie neben den Haufen Goldes nieder. Nach einiger Zeit raffte sie sich wieder auf, rannte gegen den Felsblock und schrie, denselben umklammernd: Mein Kind! heiliger Gott gib mir mein Kind! Nimm alles, alles zurück, ich will arm bleiben mein Leben lang, nur gib mir wieder mein Kind zurück. Vergebens; der Fels war und blieb verschlossen. Erschöpft und stumm raffte sie die Münzen zusammen und schleppte ich nach Klentnitz zurück.

Der Verlust ihres Kindes ließ Märchen jedoch keine Ruhe finden, am nächsten Morgen schon eilte sie nach Nikolsburg, wo sie sich einem Priester vertraute und ihn um Rath angieng. Der Priester ermahnte sie, sich mit Geduld und Demut in die Fügungen des Herrn zu schicken, den gefundenen Schatz aber zum Baue eines Gotteshauses zu verwenden. Marthe befolgte den Rath, verwandte den Schatz zum Baue einer Kirche in Nikolsburg, und lebte hinfort gottesfürchtig und in der Hoffnung ihr Kind doch noch einmal zu sehen. So verschwand ein Jahr und Ostern kam wieder heran. Da fasste Marthe den Entschluß am Ostersonntage sich wieder zum Felsblocke zu begeben, um die Gebeine ihres Kindes daraus zu holen, damit sie doch auf christliche Weise begraben würden. Sie machte sich wirklich an dem bestimmten Tage auf den Weg und erreichte mit schwerem Herzen den Fels, welcher abermals von oben bis unten gespalten war. Muthig trat sie hinein, aber statt der Gebeine fand sie ihr Kind lebend und unversehrt neben dem Bottich auf der Erde sitzen. Außer sich vor Freude und der Spracheunfähig reißt sie das Knäblein an ihre Brust und überschüttet es mit Thränen. Endlich gewinnt Marthe ihre Sprache wieder und befragt das Kind, wie es möglich gewesen, daß es in der Höhle nicht umgekommen. Da erzählt ihr das Knäblein, daß während der Nacht, welche es in der Höhle zugebracht, eine schöne Frau gekommen sei, die habe ihm Äpfel und Spielzeug gebracht, und ihm auch versprochen, daß wenn es recht fromm sei und bete, die Mutter bald wieder kommen werde, um es abzuholen. Da klangen die Glocken heller als sonst und fast wie mit mahnendem Tone. Eilig fasste Marthe ihr Kind und verließ die Höhle. Sie war aber kaum etliche Schritte entfernt, da schwiegen die Glocken, und mit furchtbarem Gekrache schloß sich der Fels. Marthe führte mit ihrem Knäblein hinfort ein frommes gottesfürchtiges Leben und dankte noch oft in der Kirche, die sie in Nikolsburg erbaut hatte, und die zu St. Lauretta genannt wurde, auf ihren Knien für die wunderbare Rettung ihres Kindes. Der Bottichstein aber soll sich seit dieser Begebenheit nicht wieder geöffnet haben.

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 129ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.