16. [Die weiße Frau und das Kind im Berge]
Bei Altrothwasser in Österr. Schlesien sah ein Weib unter einer
Eiswanne Gold. Sie zerschlug die Wanne und entfernte sich mit dem Golde
aus dem Berge. Ein Geizhals hörte davon und begab sich auch dorthin.
Das von der Frau zurückgelassene Kind fand er fröhlich da sitzen
mit Backwerk in der Schürze, das ihm, wie das Kind sagte, eine schöne
weiße Frau gebracht habe. Das Kind eilte zur Mutter, der Geizhals
aber blieb um sich gute Tage zu machen. Es kam zu ihm eine schwarze Frau
und brachte ihm eine zugedeckte Schüssel. Er öffnete und fand
nur Kieselsteine. Das Volk meint, er sei noch im Berge, am Eise festgefroren.
In der Umgegend des Pumparloches bei Neuberg im Mürzthale wiederholt
sich diese Sage. Das Volk meint aber, die weiße Frau sei die Mutter
Gottes gewesen.
In eine ähnliche Sage aus Iglau sticht sich ein Märchenzug ,den
wir zum Theil bei Grimm u. a. finden.1)
Das Kind, welches am Palmsonntage wieder gefunden wird, sitzt bei einer
Schüssel voll Milch, in der Brot herumschwimmt. Um den Arm des Kindes
windet sich eine Schlange, die begierig nach dem Brote hascht, während
sie die Milch unberührt läßt. Unwillig sagt das Kind,
sie möge doch auch Milch trinken und nicht alles Brot nehmen.
Daß ein Kind in allen diesen Sagen vorkommt, mag im Zusammenhange
stehen mit dem Volksglauben, nach welchem die in der Charwoche offenen
Schätze nur von Unschuldigen gehoben werden können.
1) Gr. K. und H. Märchen Nr. 105. III. Bd.
T. 185. Ziska S. 51.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 136f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.