21. [Das weiße Mädchen bei Tyrnau]
Bei Tyrnau sah ein Wanderer ein weißes Mädchen, welches die
Harfe spielte und traurige Weisen sang. Fürchte dich nicht, sprach
die Jungfrau, du bist zu meinem Erlöser erkoren, auf den ich schon
100 Jahre warte. Nur heute kann ich in Menschengestalt erscheinen; ich
bin in ein häßliches Gewürm verwandelt. Fühlst du
dich stark genug, das Gewürm, welches morgen hier auf diesem Steine
sitzen wird, zu küssen, so bin ich erlöst. Der Wanderer versprach
es. Als er aber das Ungethüm küssen wollte, schauderte ihn und
er ergriff die Flucht. Da vernahm er eine Stimme: Also muß ich so
lange noch leiden, bis die Eiche, deren Samenkorn man in dieser Schreckensnacht
der Erde anvertraut, gefällt ist und bis aus ihrem Stamm eine Wiege
gemacht wird, die meinen Retter aufnimmt. Noch immer sehen die Landleute
um Mitternacht eine weiße Gestalt in der Ruine beim Dorfe Tyrnau
(unweit Trübau in Mähren).
Eine Frau, die nicht weit von Iglau in dem " Schatz berge" verschüttet
ist, muß so lange darin bleiben, bis ein Nachkomme ihrer Kinder
sie erlösen wird- Dieser muß aber ein Priester sein und als
Kind in einer Wiege gelegen sein, die aus dem Holze eines Baumes gemacht
ist, der damals noch als Sträuchlein vor der Höhle stund. Manche
haben den Schatz zu heben versucht am Feste der h. drei Könige, während
das Evangelium gelesen wird.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 138
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.