30. [Der Hetscherlberg]
Wenn ich in Stande wäre diesen Menschen auf den "Hetscherlberg"1)
zu wünschen, so würde ich es gern thun! So hört man viele
Menschen ausrufen, wenn sie im Zorne sich eines Feindes entledigen wollen,
ohne es jedoch zu können. Fragt man einen von ihnen, warum er seinen
Feind auf dem Hetscherlberg haben wolle, so antwortet er: Wenn einmal
dort einer ist, so kommt er gewis nicht wieder, um mir zu schaden oder
um mich zu ärgern; denn der Hetscherlberg ist ein Berg, auf dem ein
großer Teich ist. In diesem Teiche sind sehr viele Fische, die lauter
verbannte Geister sind.
Der Hetscherlberg, auf den die Geister gebannt sind, ist nach der Volksmeinung
ganz mit Dornengesträuchen bewachsen. Auf seinem Gipfel befindet
sich ein Teich, indem die Geister in Gestalt von Fischen verweilen. Dort
müssen sie eine bestimmte Zeit bleiben, dann aber sind sie wieder
frei. Wann aber diese Zeit aus ist, das weiß niemand. Auch der Ort
ist unbekannt, wo sich dieser Berg befinden soll. Nach der Erzählung
eines Bauern sind die Geister darum in Fische verwandelt, damit es ihnen
unmöglich sei den Berg zu verlassen. Als Fische bedürfen sie
des Wassers, und da kein Bach sich dort befindet, so können sie nicht
herab. Diese Fische schwimmen immer an der Oberfläche des Wassers
und schnappen beständig nach Luft. Dabei sind sie so zahm, daß
vorbeigehende Menschen sie mit großer Leichtigkeit fangen können.
Wanderer haben dort schon einige gefangen, und doch weiß man nicht,
wo der Berg eigentlich liegt.
Nach Amstetten (Nied. Östr.) sind einmal zwei arme Handwerksburschen gekommen. Sie wusten nicht wie sie ihren Hunger stillen sollten; denn sie hatten nur wenige Fische bei sich. Sie hatten dieselben in einem Teiche gefangen, den sie fanden, als sie sich im Walde verirrten. Im Wirtshause, in das sie eingekehrt waren, konnten sie sich nichts kaufen, und baten daher die Wirtin ihnen ein wenig Schmalz gegen ein Vergelt's Gott zu überlassen. Die Wirtin sah ihnen den Hunger an und schenkte ihnen daher etwas Schmalz. Fröhlich gieng's nun an das backen der Fische. Bald waren sie in der Pfanne und die Handwerksburschen freuten sich herzlich, als die Stücke der Fische sich braun zu färben begannen. Als die Fische beinahe fertig gebacken waren, bespritzte die Wirtin, wie es auf dem Lande üblich ist, die Fische mit Weihwasser. Da entstund ein gewaltiger Lärm in der Pfanne, die Fischstücke flogen nach einander zum Rauchfang hinaus und die Handwerksburschen hatten nichts als das nachsehen. Die Bauern aber erkannten nun, daß die Fische aus dem Teiche vom Hetscherlberg waren.
1) Hetscherl d. i. Hagebutten, auch Hetschepetsch.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 155f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.