47. [Der Hausgeist läßt sich seine Speise nicht nehmen]
Bei Dittersbach im nördlichen Böhmen liegt in einem Walde eine einsame Mühle. Sie wurde nur von dem Müller bewohnt, der die wenigen Mahlgäste selbst bediente; sein Hauswesen besorgte ein Kobold, der die Stube reinigte und andere kleine Geschäfte verrichtete. Dafür erhielt er Speise und Trank. Beides wurde an einen besonderen Ort hingestellt, und er nahm es noch vor gethaner Arbeit zu sich,
Einst kam spät abends ein Handwerksbursche in die Mühle und bat um Nahrung und Obdach. Der Müller wies ihm eine Schlafstätte an; aber Speise und Trank vermochte er ihm nicht zu geben, weil das, was er noch hatte, für den Kobold bestimmt war, der sich seinen Verdienst nicht nehmen ließ. Der Müller ersuchte daher den Gast bis kommenden Morgen auszuharren, aber ja nicht die Speisen des Koboldes anzurühren, da er sonst dessen Rache zu fürchten habe. Mit diesen Worten begab er sich zur Ruhe.
Der Handwerksbursche suchte nun seine Lagerstätte auf und verfiel in einen leichten Schlummer. Der Hunger aber weckte ihn, und um diesen zu stillen vergaß er das Verbot des Müllers, aß die Speisen des Kobolds, und gesättigt schlief er bald ein.
Als die Wanduhr Mitternacht verkündete, öffnete sich die Thüre, und es trat ein unförmliches Wesen ein. Sein großer Kopf mit stark vorspringender Nase saß tief zwischen den Schultern, an denen lange dünne Arme hiengen; die Beine waren säbelförmig gebogen, so daß es schien, als ob sie den plumpen Körper nicht zu tragen vermöchten und zusammenbrechen wollten. Das struppige rothe Haar bedeckte beinahe ganz die grauen, kleinen Augen. Er gieng sogleich zu jener Stelle, wo er seine Nahrung zu finden hoffte; als er sie aber nicht mehr fand, schweiften seine Blicke in der Stube umher, und ein schadenfrohes lächeln zeigte an, daß er den Räuber seiner Sachen gefunden habe. Dennoch machte er sich an die Arbeit, kehrte die Stube aus, stellte die verschobenen Sachen an ihren Ort und reinigte sie sodann vom Staube. Er kam nun auch zu der Schlafstätte des Wanderburschen, um sich zu rächen. Er ergriff ihn beim Beine und zog ihn von seiner Schlafstätte, so daß er auf den Boden fiel. Der erwachte Bursche nahm seinen Stock zur Hand und drang damit auf seinen Ruhestörer ein. Allein, sobald er ihn in eine Ecke gedrängt hatte und nun mit dem Stocke furchtbar drein schlug, überzeugte ihn ein spöttisches lächeln aus der andern Ecke, daß sein Widersacher entwischt sei. Lief er nun dorthin, so ergieng es ihm ebenso. Trotz seiner Wuth erkannte er bald, daß er es mit einem mächtigeren zu thun habe. Er legte sich wieder und suchte einzuschlafen; allein der Kobold ließ ihm keine Ruhe. Der Bursche wiedersetzte sich, aber es half nichts; er muste alles geduldig über sich ergehen lassen. Erst nach Verlauf der Geisterstunde wurde er von seinem Plagegeiste befreit. Totenbleich erwartete er den Morgen. Der Müller, dem er sein Leid klagte, fühlte Mitleid mit dem zerschlagenen Burschen, und gab ihm Speise, Zehrgeld und gute Lehren mit auf den Weg.
Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 235f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, April 2005.