9. [Der Hundsstein]
Zwischen Alm, Zell am See und Taxenbach erhebt sich der Hundsstein (im Pinzgau). Am Fuße und bis zur halben Höhe ist er mit großen Waldungen und Wiesen bedeckt, welche reichlich Holz und Viehfutter liefern. Von seinem Gipfel breiten sich nach allen Seiten hin herrliche Alpenmatten aus. Dort wächst u. a. auch jenes Wunderkraut, welches die Kraft hat Eisen in pures Gold zu verwandeln. Noch andere Blümlein und Wurzeln, die zauberhafte Wunderkräfte besitzen, keimen dort. Sie sind versteckt, und nur durch Zufall hat man sie entdeckt, doch weiß niemand ihren Namen und ihre Gestalt, denn das ändert sich alljährlich.
Der Gipfel des Berges hat eine Ebene; ein kleiner Teich, durch das Wasser des schmelzenden Schnees gebildet, spiegelt sich an der Sonne, und ist der Aufenthalt zahlloser Frösche, die wenn sie gerade am Charfreitag gefangen werden, in ihrem Kopfe ein Goldkügelchen haben, das so groß ist wie ein Stecknadelkopf, Aber leider ist es um jene Zeit nicht möglich auf den Berg zu gelangen. An der tiefsten Stelle des Teiches ist ferner ein goldener Wagen, der aber nur durch eine goldene Kette herauf geholt werden kann. Da aber niemand so reich ist, eine goldene Kette von solcher Länge und Stärke zu besitzen, die nöthig wäre den Grund zu erreichen und den schweren Wagen zu heben, so wird derselbe wohl bis zum jüngsten Tage im Teiche bleiben müssen.
Der ebene Platz neben dem Teiche ist der Ringplatz. Am Jakobustage jedes Jahres kommen dort die Männer der umliegenden Landgerichte zusammen, und ringen um's Preh, d. h. um den Preis, welches Landgericht oder welche Gemeinde den stärksten, gewandtesten Mann besitze. Derjenige Mann, der jeden zu Boden wirft, heißt Hågmoa, und wird von seiner Gemeinde mit Frohlocken und Jubel in's Thal begleitet. Wehe dem, der den gefeierten Helden des Tages schmäht! Alljährlich gibt es dort große Raufereien; ja wenn an jenem Tage nicht gerauft wird, so fällt im nächsten Winter sehr wenig Schnee, was ein großer Schade ist. Der Hågmoa genießt, so lange er seinen Ruhm bewart, eine gewisse Hochachtung und ein Vorrecht bei allen öffentlichen Lustbarkeiten seiner Gemeinde und seines Landgerichtes,
Einst verstiegen sich die Kühe und die Ziegen eines Hirten, und er konnte nicht nahe genug zu ihnen gelangen, um sie zurück zu treiben; er nahm daher Steine, und warf sie auf das Vieh, das er dadurch zur Rückkehr zwang. Mit einem Male stund ein Mann neben ihm und sagte: Wirf nicht die Steine weg, um das Vieh zu bekommen, die Steine sind mehr wert als die Kühe. Der Mann, der dieses gesagt, war ein Venediger. Diese wusten mehr als andere Leute, sie hatten Bergspiegel, das sind solche Spiegel, die ihnen von Venedig aus das Innere der Berge zeigten, und die aus allem Gold machen konnten. (Aus Alm im Pinzgau.)
Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 361ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, Juli 2005.