16. [Der Wassermann nimmt keine halben Pfennige]
In Schidrowitz (Mähren) lebte ein armer Fischer, der seinen Lebensbedarf
nicht erschwingen konnte. Rathlos [Ratlos] saß er einst in einer
stürmischen Nacht in seinem Kahne, allein er fieng [fing] nichts,
und wollte fluchend dem, Ufer zu steuern, als ihm der Wassermann, ein
kurzer, breitschulteriger Mann, mit steifen Haaren und weißen Augen,
den Weg versperrte, und zu ihm sprach: Was fluchst du denn so? warum hast
du mich nicht gerufen, der ich doch alle Schätze des Wassers kenne?
Herr, sagte der Fischer, es ist die Noth [Not], die mich dazu zwingt;
Weib und Kinder wollen Brot und Kleider, und ich kann ihnen weder das
eine, noch das andere geben. Gut, sagte der Wassermann, ich will dir einen
Schatz zeigen, wenn du mir versprichst denselben redlich mit mir zu theilen
[teilen].
Das will ich, sprach der Fischer. - Da stieg der Wassermann in den Kahn
des Fischers, ergriff das Ruder und steuerte durch Schilf und Rohr hindurch,
auf einen dem Schiffer ganz unbekannten Platz zu. Hier, sprach der Wassermann,
hier fische! Nach diesen Worten verschwand er. Der Fischer that was ihm
befohlen. Nach einer kurzen Zeit zog er sein Netz mit einem großen
Fische heraus, doch kaum legte er ihn in den Kahn, als der Fisch in Rauch
aufgieng, und an seiner Stelle lag ein Klumpen Silber. Freudig schleppte
der Fischer denselben zum Richter, und - da ihm dieser das Silber nicht
abnahm - zum Grafen, der zahlte ihm eine große Summe Goldes aus.
Sogleich gieng der Fischer an die Theilung, um dem Wassermanne seinen
Antheil zu bringen. Aber es blieb ein Pfennig übrig. Schnell entschlossen
nahm er seine Hacke und schlug denselben entzwei, legte die eine Hälfte
zu seinem, die andere Hälfte zum Geldhaufen des Wassermannes.
In der Nacht darauf begab er sich an jene Stelle, wo ihm der Wassermann
erschienen war, und rief demselben. Hier, sagte der Fischer, hast du deinen
Antheil [Anteil]. Hast du auch ehrlich gezählt? fragt der Wassermann,
und fängt selbst an das Geld zu zählen. Wie er aber den halben
Pfennig sieht, läst er das Geld liegen und verschwindet.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 184f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.