29. [Eine Wasserjungfrau vermählt sich]
Unweit der Ruine Alttitschein befindet sich das Schloß Leschna,
bei welchem früher im Garten ein Teich war. Von diesem Teiche wird
folgendes erzählt1):
Ein Besitzer dieses Schlosses Leschna gieng Abends immer in seinem Garten
spazieren, und unterhielt sich oft, indem er auf einem Kahne umherschiffte.
Einmal gieng er am Ufer dieses kleinen Teiches spazieren, und hörte
eine sehr angenehme Stimme singen. Darauf erschien eine schöne Gestalt,
die sich lange Zeit im Kahne umherschiffend unterhielt. Er gieng jeden
Abend in seinen Garten, besonders gern beim Vollmonde, wo er mit der wunderschönen
Gestalt sprechen konnte. Als die Jungfrau wieder erschien, bat er sie
um ihre Liebe. Sie sagte ihm dieselbe zu, jedoch mit der Bedingung, er
dürfe sie nie fragen, wer sie sei, und woher sie gekommen. Er versprach
dieses, und bald wurde die Hochzeit gehalten. Es vergiengen mehrere Monate,
der Herr blieb seiner Liebe gegen die reizend schöne Frau treu, und
erfüllte auch alle ihre Wünsche. Aber ihre Dienerin war ein
sehr böses und neidisches Geschöpf. Diese hat, wie einige erzählen,
auf anstiften der Schwester des Baron verschiedenes über sie erzählen
wollen, allein er gab ihr kein Gehör. Einmal brachte sie vor, die
Frau sei immer unten am Kleide naß und kalt. Später bemerkte
die Dienerin auch, daß die Frau keinen vollständigen Menschenleib
habe, sondern vom Kopfe bis unter die Brust Mensch, vom Bauche an ein
Fisch sei. Das erregte nun doch die Neugier des Baron. Zur Zeit des Vollmonds
pflegte sie immer ein Bad zu nehmen, wo niemand Zutritt hatte. Der Baron
ließ sich aber zum Badzimmer auch einen Schlüssel machen, und
drang in's Zimmer, als sie gerade im Wasser war. Sie sprang auf, ganz
nackt wie sie war, drohte sie ihm, und machte ihm die bittersten Vorwürfe,
daß er sie nicht in ihrer früheren Wohnung (im Teiche) gelassen
habe, wo sie ewig glücklich gewesen sei, jetzt aber müsse sie
sterben. Als sie im Badzimmer das Wasser verließ, war sie nackt,
aber in einigen Augenblicken hatte sie bereits ein weißes Kleid
angezogen, lief blitzschnell die Treppe hinab, und verschwand in einem
im Hofe befindlichen tiefen Brunnen. Der Herr lief ihr nach, wollte sie
fangen, allein sie war verschwunden, und ihm blieb nichts als die nasse
Hand. Sehr oft gieng er Abends beim Vollmonde spazieren, hörte aber
nie singen, sondern bitterlich weinen.
Hier haben wir also aus slawischem Gebiete Anklänge an die bekannte
Sage vom Schwanritter u. a. (Grimm deutsche Sagen Nr. 538.)
1) Aus Alttitschein (im nordöstl. Mähren), von einer alten Frau im slaw. Dialekte erzählt.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 202f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.